"Davon haben wir nichts gewusst!"
Behörden gefallen musste.
Wenn man sich vor Augen hält, wie selbst bei der modernen Demoskopie Ergebnisse durch leichte Veränderungen der Fragestellungen beeinflusst werden können, lässt sich erahnen, welche Verzerrungen die Beobachtungsweise der Spitzel, vor allem aber die Redaktion durch die auswertenden Stellen hervorgerufen haben. Letztlich waren es die Eigeninteressen der Gliederungen und Dienststellen, die die Stimmungsberichterstattung steuerten, nicht die »tatsächliche« Volksstimmung. Hinzu kommt, dass bestimmte Bereiche für eine kritische Berichterstattung offenkundig weitgehend tabu waren: so etwa Vorgänge innerhalb der Wehrmacht, parteinterne Angelegenheiten oder Behördeninterna. 67
Es stellt sich außerdem die Frage, ob die zumindest bis 1943 sehr positive Berichterstattung über Hitlers Image in der Bevölkerung tatsächlich die Auffassung breiter Bevölkerungsschichten widerspiegelt oder ob sie vor allem anzeigt, dass Kritik am »Führer« ein Tabu für die Berichterstattung war. Der systematische Aufbau eines Führer-Mythos, das hat Ian Kershaw eingehend dargelegt, war von besonderer Bedeutung für den inneren Zusammenhalt des »Dritten Reiches«: Die inneren Probleme der Diktatur ließen sich durch Verweis auf die Omnipotenz und das dynamische Potenzial des »Führers« überbrücken beziehungsweise ausblenden; der Hitler-Mythos war zentral für Integration, Mobilisierung und Legitimation des Regimes. 68
Die Stimmungsberichte geben aber nicht nur die Wirkungen der Führerpropaganda wieder, sondern sie arbeiteten am Mythos mit. In einem System, in welchem dem Bild des charismatischen Führers eine so entscheidende Bedeutung zukam, war es für Partei- und Staatsdienststellen außerordentlich schwierig, Negatives über das Führer-Image in der Bevölkerung zu berichten: Sie hätten sich den Vorwurf der Sabotage an der zentralen Legitimationsquelle des Regimes zuziehen können. Kershaw stellte seinerzeit diesem möglichen Einwand das Argument entgegen, nach der Niederlage von Stalingrad sei das Bild des Führers in den offiziellen Berichten tatsächlich in raschen Niedergang verfallen und gegen Ende des Krieges praktisch vollkommen kollabiert. Dies spreche doch für eine gewisse Ehrlichkeit der Berichte insgesamt. 69
Die Führerpropaganda wurde jedoch angesichts der sich mit Stalingrad abzeichnenden Kriegsniederlage nicht mehr mit der gleichen Intensität verfolgt wie in den Jahren zuvor. Hitler stand in der zweiten Kriegshälfte nicht mehr in gleichem Maße im Mittelpunkt der nationalsozialistisch kontrollierten Öffentlichkeit. Für die Propaganda war er nur noch von begrenztem Wert: Sein persönlicher Führungsstil ließ ihn auch als persönlich verantwortlich für den Niedergang der Diktatur erscheinen. Negative Berichte über die Wirkung Hitlers in der Bevölkerung kann man daher auch als Versuche von Teilen des Apparates verstehen, die Schuld für Missstände und Niederlagen auf Hitler abzuwälzen und sich indirekt von ihm zu distanzieren. Wir können diese an sich spannende Frage hier nicht weiter verfolgen; festzuhalten ist jedoch, dass sich hier – genauso wie bei den Berichten zur »Judenfrage«, die das Thema dieses Buches sind – die Frage stellt, inwieweit wir die Berichte als Reflexion interner Vorgänge innerhalb des Herrschaftssystems lesen können und inwieweit in ihnen tatsächlich so etwas wie die »wirkliche« Meinung des Volkes durchscheint.
Viertens: Ich bezweifle generell, dass der Zweck der Berichte darin bestand, durch die Beobachtung von Verhaltensweisen ein möglichst objektives Bild der »tatsächlichen« Einstellung der Bevölkerung zu bestimmten Problemen zu erhalten. Vielmehr, das ist die in diesem Buch vertretene These, waren die Berichte in erster Linie integraler Bestandteil der Bemühungen des Regimes, die nationalsozialistisch dominierte »Öffentlichkeit« nach seinen Vorstellungen ausrichten. Die in den Berichten vielfach vorherrschende Vorstellung, es habe so etwas wie einen einheitlichen Trend in Stimmung oder Haltung »der Bevölkerung« gegeben, ist demnach ein Konstrukt der Berichterstatter. Die Berichte sind nicht einfach Abbild der Volksstimmung, sondern Teil des Prozesses, eine homogene Volksstimmung künstlich herzustellen.
Tatsächlich kann man nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass die erhebliche weltanschauliche und politische Fraktionierung der deutschen Bevölkerung, die Ausbildung sozialkultureller Milieus und politischer Lager, die
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