"Davon haben wir nichts gewusst!"
könnte. Träger, verantwortlicher Träger der Stimmung sind Sie!« 75 Ähnlich verfuhr er im März 1942, als er einen Bericht über den Verfall der Stimmung in der Bevölkerung mit folgender Randnotiz für unerheblich erklärte: »Wenn das maßgebend wäre, was die Leute immer sagen, dann wäre schon längst alles verloren. Die wahre Haltung des Volkes liegt aber doch viel tiefer und ist schon auf einer sehr festen inneren Haltung basiert. Wäre das nicht der Fall, dann wären doch all die Leistungen des Volkes gar nicht zu erklären.« 76
Bormann schließlich teilte im Dezember 1942 den Gauleitern im »Auftrag des Führers und im Einvernehmen mit dem Reichspropagandaleiter« mit, man habe in letzter Zeit »in zunehmendem Umfange Berichte der Gauleitungen erhalten, in denen negative Äußerungen von Volksgenossen oder mehr oder weniger geringfügige Zwischenfälle, die auf eine gewisse Kriegsmüdigkeit schließen ließen, als Beweise für die angeblich schlechte Stimmung der Bevölkerung angeführt wurden«. Eine nähere Überprüfung habe ergeben, dass regelmäßig lokale »Verstimmungen, verständliche nervöse Überreizungen, Äußerungen unverbesserlicher Pessimisten und Ausflüsse der Angst und Feigheit bürgerlicher Spießer […] in Verkennung ihrer im Gesamtrahmen geringen Bedeutung – als Stimmungsbarometer bezeichnet« wurden. Für die künftige Berichterstattung gab Bormann sodann »verbindliche Richtlinien«, in denen es unter anderem heißt, etwaige Zweifel müssten »mit einwandfreien Argumenten und – wenn das nicht hilft – nach dem Vorbild der Kampfzeit mit massiveren Mitteln zum Schweigen gebracht werden«. Deutlicher ließ sich die nationalsozialistische Politik, durch ein Ineinandergreifen von Parteiarbeit vor Ort, Propaganda und Terror die Öffentlichkeit auszurichten und auf diese Weise ein positives »Stimmungsbild« herzustellen, wohl nicht beschreiben. 77
Zur Frage, welche Rolle die öffentliche Meinung angesichts der von den Nationalsozialisten beanspruchten Identität von Volk, Staatsführung und Nationalsozialismus spielen sollte, steuerte Reichspressechef Otto Dietrich in einer Rede, die er auf dem Reichsparteitag 1935 hielt, einen in seiner Einfachheit geradezu verblüffenden Gedankengang bei. Dietrich wehrte sich gegen einen Vorwurf, der relativ häufig erhoben werde:
»›Es gibt im nationalsozialistischen Deutschland keine öffentliche Meinung mehr!‹, so hören wir oft von draußen – auch von Leuten, denen Böswilligkeit fernliegt. Sie haben von dem tiefen inneren Wandel, der sich im heutigen Volke vollzogen hat, keine Ahnung! Sonst würden sie erkennen, dass es in Deutschland eine öffentliche Meinung im wahren Sinne des Wortes überhaupt erst gibt, seitdem die nationalsozialistische Weltanschauung vom Volke Besitz ergriffen hat. Der Nationalsozialismus ist ja nicht irgendeine politische Herrschaftsform, sondern die Weltanschauung des deutschen Volkes schlechthin. In ihr sind Führung und Volk untrennbar verbunden. Diese weltanschauliche und politische Plattform, die dem Wesen des deutschen Volkes und seinem Wollen entspricht, ist nicht kompliziert und weltfremd, sondern einfach, klar und einheitlich. Sie ist ein fester und unverrückbarer Maßstab im Fühlen und Denken des Volkes. Im Besitz dieser instinktsicheren Grundlage des Denkens ordnet sie jedem einzelnen Volksgenossen das Leben sinnvoll und klar, erscheint ihm das Falsche sinnlos und unmöglich, das Rechte begreiflich und verpflichtend. Mit einem Wort: Die öffentliche Meinung des deutschen Volkes ist der Nationalsozialismus! Ihr Anwalt aber ist die nationalsozialistische Parteipresse.« 78
Diese vermeintliche Einheit von Volk, Nationalsozialismus und öffentlicher Meinung beeinflusste selbstverständlich auch die Stimmungsberichterstattung. Diesen Topos bei der Analyse außen vor zu lassen, wäre fatal. Schließlich hält auch niemand die Ergebnisse der nationalsozialistischen Volksabstimmungen für den Ausdruck des Volkswillens oder den Pogrom vom November 1938 für den Ausbruch des »Volkszorns«.
Für die Analyse der Berichte bedeutet dies in der Praxis Folgendes: Immer dann, wenn von »Volk« oder »der Bevölkerung« die Rede ist, muss der quellenkritische Einwand geltend gemacht werden, ob sich der Berichterstatter nicht von der Wunschvorstellung einer nationalsozialistisch dominierten Volksgemeinschaft leiten ließ und abweichende Auffassungen lediglich als überlebte Restbestände eigentlich schon
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