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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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für die Juden. Vor die Frage der Praxis gestellt, wandelt sich die allgemeine Haltung und steht plötzlich, aus verschiedenen Motiven, die letztlich alle auf den gleichen Kern zielen, geschlossen in eisiger Ablehnung.«
    Ein weiteres Thema der Kampagne war die breite und fast schon genussvolle Schilderung des angeblichen Reichtums der deutschen Juden. 77 So rechnete etwa das katholische Bamberger Volksblatt seinen Lesern vor, das Durchschnittsvermögen der Juden übertreffe das der Deutschen noch immer um das 4,5-Fache. Das Blatt zog daraus die Schlussfolgerung: »Dieses, dem deutschen Volk durch Betrug genommene Vermögen wird jetzt durch die auferlegte Geldstrafe zu einem kleinen Teil wieder in den Besitz des deutschen Volkes zurückgeführt.« 78
    Daneben forderte das Propagandaministerium die Redaktionen auf, die »Judenfrage« auch auf kulturpolitischem Gebiet stärker zu betonen. Diese wichtige Nebenlinie der Kampagne wandte sich insbesondere an ein gebildetes Publikum und sollte an konventionelle antisemitische Vorurteile appellieren: an die Vorstellung, Juden stellten einen Fremdkörper in der deutschen Kultur dar. Am 17. November erhielt die Presse die Anweisung, jede Zeitung müsse »in den nächsten 10 Tagen eine Artikelserie veröffentlichen, in der die Rolle der Juden in Deutschland behandelt werden soll: in früheren Zeiten, in der Vorkriegszeit, am Hofe, in den ersten Kriegsjahren und in der Novemberrepublik«. 79 Auf der Pressekonferenz wurden dazu detaillierte Ausführungen gemacht und Literaturhinweise gegeben. 80
    In den kommenden Tagen lieferten die Zeitungen entsprechende Beiträge. Im Vordergrund standen dabei die angebliche Beherrschung und »Zersetzung« des deutschen Kulturlebens durch Juden vor 1933 81 sowie die Behauptung, Juden hätten die Widerstandskraft des deutschen Volkes im Weltkrieg entscheidend geschwächt und seien für Revolution und Kriegsniederlage verantwortlich. 82 Polemisiert wurde auch gegen die »moralische Entnervung der deutschen Jugend durch jüdische Sexualapostel«. 83 Einige Blätter holten weiter aus, bemühten Klassiker 84 mit Äußerungen zur »Judenfrage« oder stellten geschichtliche Betrachtungen an, um die Judenfeindschaft in den Rang einer historischen Konstante zu erheben. 85 Namentlich in bürgerlichen Blättern 86 und katholischen Presseorganen 87 fand dieser »kulturpolitische« Antisemitismus seinen Niederschlag; das führende Blatt des bürgerlichen Lagers, die Frankfurter Zeitung , leistete zu der Kampagne ebenfalls einen – wenn auch ostentativ bescheidenen – Beitrag. 88
    Dennoch blieb die »kulturpolitische« Kampagne weit hinter den Erwartungen des Propagandaministers zurück. Bereits am 19. November hieß es in der Pressekonferenz: »Die Anweisungen zur Judenfrage seien offenbar nicht überall verstanden worden. Es soll das Wirken der Juden in Deutschland gezeigt werden, in der Arbeiterbewegung, im Liberalismus, in der Kultur, in der Finanz, am Hofe, während des Krieges, beim Munitionsarbeiterstreik, im letzten Kriegsjahr in der Novemberrevolte, in den ersten Tagen der Republik, in der Korruption usw. Die Tendenz sei ebenfalls missverstanden worden. Gegen die Spießer heiße nicht, dass man durch Schlagzeilen den Eindruck erwecken solle, als seien große Teile des Volkes mit den Maßnahmen gegen die Juden nicht einverstanden. Die Artikelserie müsse in allen Zeitungen mit der deutlichen Tendenz schließen: Deutsches Volk, du hast jetzt lesen können, wie und wo dir die Juden geschadet haben, wenn du nun noch einen griesgrämigen Volksgenossen triffst, so weißt du, dass er einer von denen ist, die es noch immer nicht begriffen haben, die also zu den ständigen Neinsagern gehören. Notiere ihn dir. Das sind die Männer, die dem Führer in den Rücken fallen.« 89
    Obwohl die Presse nun verstärkt mit Materialien zur »Judenfrage« versorgt wurde, 90 sah das Propagandaministerium nur drei Tage später erneut Anlass zur Klage: »Die Serien über die Judenfrage hätten … Minister Dr. Goebbels nicht befriedigt. In den meisten Zeitungen kämen die Artikel gesondert und seien nicht als Serienbeiträge zu erkennen. Die Presse möge sich mehr anstrengen.« 91
    Am 24. November 1938 bemängelte der Vertreter des Propagandaministeriums vor der Pressekonferenz: »Man wisse, dass der Antisemitismus sich heute in Deutschland immer noch zu einem wesentlichen Teil auf die Partei und ihre Gliederungen beschränkt und dass immer noch eine gewisse Schicht der

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