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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Bevölkerung vorhanden ist, die nicht das geringste Verständnis dafür aufbringt, der überhaupt jede Einfühlungsmöglichkeit fehlt. Diese Leute seien bereits am Tage nach der Zertrümmerung der jüdischen Geschäfte sofort zu den Juden gelaufen, um nach Möglichkeit dort zu kaufen. Das liege zu einem großen Teil daran, dass wir zwar ein antisemitisches Volk, ein antisemitischer Staat sind, aber trotzdem in allen Lebensäußerungen des Staates und des Volkes der Antisemitismus so gut wie gar nicht zum Ausdruck kommt.« Für das Winterhalbjahr kündigte der Sprecher daher eine gründliche antijüdische »Aufklärungskampagne« an.
    Die Journalisten erhielten detaillierte Anweisungen, wie sich bestimmte Meldungen mit antijüdischen Klischees verbinden und sich auf diese Weise ein dicht gespanntes Netz antijüdischer Propaganda spannen ließ, außerdem wurde in der Pressekonferenz häufig an das antijüdische Leitmotiv der Propaganda erinnert. 92 Trotzdem zeigten sich die Sprecher schon nach wenigen Tagen erneut unzufrieden. Die »Aufklärungskampagne« schien nicht recht in Gang zu kommen. 93 Eine Anfang Dezember angekündigte besondere Hervorhebung antisemitischer Meldungen in den Agenturdiensten wurde tags darauf widerrufen. 94
    Die Wochenschauen hatten zwar ausführlich über die Trauerfeiern für vom Rath berichtet, sich an der antisemitischen Kampagne jedoch nicht beteiligt. 95 Der Rundfunk hingegen wurde in die Propagandakampagne einbezogen. Leider lässt sich das Radioprogramm nur bruchstückhaft rekonstruieren; wir besitzen aber ein aussagekräftiges Beispiel, das den abgestimmten Einsatz der einzelnen Medien für die Kampagne illustriert. Die täglich ausgestrahlten, jeweils fünfzehnminütigen Sendungen des Berliner Rundfunks »Echo am Mittag« und »Echo am Abend« enthielten in den Monaten vor dem Pogrom nicht einen einzigen antisemitischen Beitrag. Auch die Ereignisse in Paris und der Pogrom selbst kamen nicht vor. Aber am 10. November wurde ein Beitrag über die Eröffnung der Ausstellung »Der ewige Jude« ausgestrahlt, am 15. November wurde das Thema erneut aufgegriffen; am 19. November gab es einen Beitrag über das Institut zum Studium der »Judenfrage«. Am 22. November 1938 setzte ein antisemitisches Dauerfeuer ein: Bis zum 10. Dezember enthielt fast jede Ausgabe des »Echos« einen einschlägigen Beitrag. Dann ebbte die Kampagne langsam ab. 96 Auch die übrigen Radiostationen beteiligten sich in diesen Wochen intensiv an der antijüdischen Propagandakampagne. 97
    Auch der Propagandaapparat der Partei wurde mobilisiert. Wenige Tage nach dem Pogrom informierte Goebbels in seiner Eigenschaft als Reichspropagandaleiter der NSDAP die Parteiredner, man wolle eine bereits gestartete reichsweite Versammlungswelle bis zum März des folgenden Jahres fortsetzen, um so eine »Aufklärung der gesamten Bevölkerung über das Judentum« zu erreichen. Die Themen der Versammlungen müssten keineswegs »auf das jüdische Problem ausdrücklich Bezug« nehmen; gleichzeitig wurden die Redner aufgefordert, bei »der Behandlung der einzelnen politischen Probleme im Laufe einer Rede […] wiederholt, da wo es begründet ist, auf die Rolle des Judentums« hinzuweisen. Diese nicht allzu plakative Vorgehensweise schien Goebbels geboten, da sich während des Pogroms gezeigt habe, dass »ein großer Teil des Bürgertums für die durchgeführten Maßnahmen geteiltes Verständnis« aufgebracht habe. »Zum größten Teil«, so Goebbels, »laufen diese Spießer und Kritikaster herum und versuchen, Mitleid mit den ›armen Juden‹ zu erwecken mit der Begründung, dass Juden auch Menschen seien.« Die Masse der Bevölkerung, die »nicht in der Kampfzeit und auch späterhin nationalsozialistische Zeitungen regelmäßig gelesen hat, hat damit nicht die Aufklärung erfahren, die für den Nationalsozialismus im Kampf ohne weiteres gegeben war«. Dieses »Versäumnis« solle nun nachgeholt werden. 98
    Trotz der sich schnell einstellenden Ermüdungserscheinungen wurde die antisemitische Kampagne auch in der Presse über das Jahresende hinaus fortgeführt. Ihren Höhepunkt und gleichzeitig ihr Ende erreichte sie, als Hitler in seiner Reichstagsrede zum Jahrestag der Machtübernahme am 30. Januar 1939 vor der gesamten Weltöffentlichkeit die »Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa« im Falle eines erneuten Weltkriegs ankündigte 99 – eine Passage, die in der Presseberichterstattung sowie in der gesamten Propaganda 100 groß

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