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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Kriegstreiber und Kriegsschieber« und das »internationale Judentum« für die »intellektuelle Urheberschaft« an dem Attentat verantwortlich. 23 Die Deutsche Allgemeine Zeitung sah in einem Leitartikel »England mit seinem Secret Service« sowie »das Weltjudentum« am Werk und feuerte eine massive Polemik gegen angeblich kriegslüsterne jüdische Kreise in Großbritannien ab, 24 und ähnlich betrachtete die Berliner Börsenzeitung die »Kriegshetzer und die großen jüdischen Geldgeber« mit der »unmittelbarsten Verantwortung belastet«. 25 Doch trotz solcher Stellungnahmen auch in der ehemals bürgerlichen Presse war es dem Propagandaministerium nicht gelungen, die Behauptung von der »jüdischen« Urheberschaft an dem Attentatsversuch als verbindliche Sprachregelung für die gesamte Presse durchzusetzen. Die Schlesische Zeitung beispielsweise ging nicht auf das antisemitische Motiv ein, sondern lastete das Attentat ganz dem Secret Service an. 26
    Die Tatsache, dass der britische Kriegsminister Leslie Hore-Belisha jüdischer Abstammung war, machte ihn in den Augen der NS-Propaganda zum idealen Angriffsziel. Über den »jüdischen Kriegsminister«, wie er vorzugsweise in der Parteipresse genannt wurde, wurden Kübel voll Unrat ausgegossen: »Jeder kennt«, so schrieb etwa der Völkische Beobachter , »seine jüdische Affenvisage mit den Negerlippen.« 27 Als Hore-Belisha im Januar 1940 zurücktrat und die deutsche Propaganda damit eine ihrer beliebtesten Zielscheiben verlor, gab das Propagandaministerium der Presse folgende Hinweise zur Kommentierung: »Der Jude war bis jetzt ein zu mächtiges Aushängeschild für die gleichbleibende jüdische Tätigkeit und muss deshalb weichen. Es hat sich als unzweckmäßig erwiesen, ihn so lange so ungetarnt an die Front zu stellen.« Er werde jedoch »im Hintergrund weiter aktuell bleiben«. 28
    Zwei Tage später kritisierte der Sprecher des Propagandaministeriums die Presse, weil sie sich nicht an diese Linie gehalten, sondern alle möglichen Gründe für den Rücktritt angegeben habe. Der Sprecher mahnte: »Alle deutschen Zeitungen müssen jetzt eine deutsche Stimme bringen, in der ausdrücklich der Jude Hore-Belisha als der gestürzte Minister herausgestellt werde. Der Jude sei für die jüdischen Hintermänner nicht mehr tragbar[…]. Ein Jude wäre tragbar geblieben, wenn das Geschäft floriert hätte, das er betrieb. Da aber der Krieg nicht so verlief, wie man ihn sich gedacht hätte, müsse das Geschäft jetzt zweifelhaft erscheinen und der Jude werde verschwinden, eine Methode, wie sie auch früher in der deutschen Republik angewandt worden sei, als in den ersten Jahren Juden herrschten und in den späteren in den Hintergrund traten.« 29
    Erst nach diesen deutlichen Worten fand die Presse zu einer einheitlichen Linie: Dem Leser musste erklärt werden, dass der Rücktritt ein Beweis für die nach wie vor ungebrochene Macht »der Juden« sei. Die Behandlung des Rücktritts ist ein Paradebeispiel dafür, wie das Propagandaministerium versuchte, das antisemitische Leitmotiv der Presse geradezu einzubleuen.
    Der Völkische Beobachter führte die Kampagne am 8. und 9. Januar mit entsprechenden Schlagzeilen an. 30 Im Angriff kommentierte Robert Ley: »Mit derselben Unerbittlichkeit, wie diese jüdisch-englische Plutokratie uns die Vernichtung angesagt hat, geben wir den Schlag zurück! England und der Jude müssen vernichtet werden, damit die Welt zur Ruhe kommt und damit der arbeitende Mensch einen Lohn erhält und seine soziale Stellung in der Welt gesichert bekommt.« 31
    Die bürgerliche Presse bemühte sich nun, in teilweise ausführlichen Kommentaren das Versäumte nachzuholen und ihre bisherige Berichterstattung zu ergänzen beziehungsweise umständlich zu korrigieren. Die Frankfurter Zeitung , die noch am Vortag gemeldet hatte, Hore-Belisha sei durch die britische Generalität gestürzt worden, brachte jetzt den gewünschten Kommmentar: »Er tritt hinter die Kulisse zurück, vor der er bisher agierte und die seine Person allzu deutlich vor der Öffentlichkeit erscheinen ließ. Kein Zweifel, dass sein Wirken auch in Zukunft unvermindert und unverändert den Zielen gelten wird, die die englische Politik verfolgt und die Hore-Belisha – freilich aus ganz anderen und keineswegs ›englischen‹ Gründen – verfolgt hat und verfolgen wird: der Vernichtung Deutschlands.« 32
    Auch die Münchner Neuesten Nachrichten , die in ihrer Rücktrittsmeldung zunächst gar nicht

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