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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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»Jude« zu kennzeichnen, die Erörterung der jüdischen Herkunft westlicher Politiker jedoch tunlichst zu unterlassen, galt jetzt umgekehrt: »Die Presse soll nochmals daran erinnert werden, dass bei jeder Nennung eines Juden dieser als Jude bezeichnet werden soll, ausgenommen sind Sowjetrussland und alle die Fälle, in denen die diplomatische Rücksichtnahme den Zusatz verbietet.« 12 Es erforderte einiges Fingerspitzengefühl, um als Journalist allen Anforderungen der Presselenkung gerecht zu werden.
    Gegenüber Großbritannien war die propagandistische Lage nicht minder kompliziert. Es wurden zwar immer wieder Anläufe unternommen, den Krieg als »jüdischen Krieg« darzustellen und das Thema Antisemitismus zur »Demaskierung« des britischen Kriegsgegners einzusetzen; doch aus den genannten Gründen verbot es sich auch hier, diese Ansätze zu einer breit angelegten antisemitischen Kampagne auszudehnen. Allein der Blick in die Anweisungen des Propagandaministeriums zeigt, dass die Behauptung, die britische Regierung sei Handlanger internationaler jüdischer Kräfte, zwar immer wieder auftauchte, jedoch keineswegs zum alles überstrahlenden Leitmotiv wurde. 13
    Aus all diesen Gründen war das Thema Antisemitismus für die deutsche Propaganda zwischen Kriegsbeginn und Sommer 1941 nur von begrenztem Wert. Eine nähere Analyse der Presseberichterstattung bestätigt dieses Bild.
    In den Vorkriegsmonaten Mai bis August 1939 hatte die Frequenz der antisemitischen Beiträge im Völkischen Beobachter bei durchschnittlich zwei bis drei Beiträgen pro Woche gelegen; zwischen September 1939 und Mai 1941 waren es meist nicht mehr als zwei antisemitische Beiträge pro Woche. In einigen Monaten – im November 1939, August 1940 sowie im März und Mai 1941 – finden sich zwar drei bis vier Beiträge pro Woche, doch verdichteten sie sich nie zu einer antisemitischen Kampagne, die denen der Jahre 1933, 1935 oder 1938 vergleichbar gewesen wäre.
    Vor allem in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn versuchten der Völkische Beobachter und die übrige Parteipresse gleichwohl, »den Juden« die Schuld am Ausbruch des Krieges zuzuschreiben und sie als die eigentlichen Machthaber im feindlichen Lager, namentlich in Großbritannien, darzustellen. Daneben wurden insbesondere die polnischen Juden für angebliche Gräuel gegen Volksdeutsche verantwortlich gemacht. 14
    Noch im September 1939 startete der Völkische Beobachter eine Artikelserie 15 zum Nachweis der »jüdischen Kriegsschuld«, die Ende Oktober darin gipfelte, die Erklärung Chaim Weizmanns, des Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation, Großbritannien im Krieg gegen Deutschland unterstützen zu wollen, als »förmliche Allianz zwischen England und dem Weltjudentum« zu interpretieren. 16 Die übrige Parteipresse, so scheint es, beteiligte sich nur halbherzig an diesem Versuch der Schuldzuweisung, 17 die bürgerlichen Blätter hielten sich noch mehr zurück. 18 Die Deutsche Allgemeine Zeitung wurde allerdings wieder ihrer außenpolitischen Sonderrolle gerecht, als sie in ihrer Morgenausgabe vom 31. Oktober 1939 unter der Schlagzeile »Juden hinter dem englischen Krieg« einen Brief veröffentlichte, der angeblich bei einem Angestellten der jüdischen Kultusgemeinde in Prag gefunden worden war und die »Zusammenhänge tschechischer Juden mit der Kriegsverbrecher-Zentrale in London eindeutig« belege. 19
    Auch das Attentat Georg Elsers auf Hitler am 8. November 1939 wurde in der Parteipresse (aber keineswegs von allen Parteiblättern) jüdischen Hintermännern zur Last gelegt. 20 Das Propagandaministerium gab der Presse allgemein die Anweisung, nun solle die »Auseinandersetzung mit den Kreisen fortgesetzt werden, die als geistige Urheber erscheinen: Kreise der internationalen Kriegshetzer und der großen Juden. Wenn jetzt das Wort ›Jude‹ in diesem Zusammenhang falle, so dürfe es nur in der Art erscheinen, dass sie neben die Kriegshetzer gestellt werden, und zwar nicht die Juden in Deutschland, sondern die internationalen Juden. Man habe kein Interesse daran, dass der Rest der Juden in Deutschland nun totgeschlagen werde.« 21
    Die bürgerliche Presse zeigte in dieser Frage keine einheitliche Haltung: Während etwa die Frankfurter Zeitung allgemein davon sprach, die Spur führe ins Ausland 22 (und damit eine Formulierung aufnahm, die Himmler in einer Presseerklärung in die Welt gesetzt hatte), machten die Münchner Neuesten Nachrichten die »internationalen

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