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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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auf den Umstand eingegangen waren, dass Hore-Belisha jüdischer Abstammung war, legten nach: »Er ist zurückgetreten, weil er Jude ist und das Weltjudentum und die von ihm gelenkte Kriegspartei zur Überzeugung gelangten, dass ein Jude, noch dazu einer vom Schlage Hore-Belishas, als englischer Kriegsminister untragbar geworden ist, eine Belastung für das Judentum und ein Hemmnis für den plutokratischen Krieg darstellt.« 33
    Die Deutsche Allgemeine Zeitung hatte zunächst darüber spekuliert, Hore-Belishas jüdische Abstammung habe in britischen und französischen Führungskreisen Unwillen erregt – und damit der offiziellen Propagandathese vom »jüdischen Krieg« gegen Deutschland auf eklatante Weise widersprochen. 34 In ihrer Abendausgabe vom 8. Januar 1940 variierte sie den durch das Propagandaministerium vorgegebenen Kommentar wie folgt: »Das Judentum hat auch in diesem Fall die alte Taktik erneuert, einen kompromittierten Rassegenossen in den Hintergrund treten zu lassen. Es will seinen Krieg, der ebenso ein jüdischer wie ein englischer Krieg ist, nunmehr durch andere weiterführen lassen und ist dabei sicher, die Fäden nach wie vor in der Hand zu behalten.« 35
    Angesichts der Notwendigkeit, das Leitmotiv des »jüdischen Krieges« von der Person des unbrauchbar gewordenen Hore-Belishas abzulösen, versuchte der Völkische Beobachter einen Schritt weiter zu gehen. Am 11. Januar 1940 titelte er: »Eine sensationelle Enthüllung: Dieser Krieg ist der ›Heilige Krieg‹ der Juden«, und am 13. Januar: »Der britisch-jüdische Betrug an den Arabern«. Doch die übrige Presse konnte oder wollte sich nicht entschließen, in eine konzertierte antisemitische Kampagne einzutreten. Die Vertraulichen Informationen des Propagandaministeriums rügten die Presse am 13. Januar 1940, sie habe es »mit wenigen Ausnahmen noch nicht verstanden […] der propagandistischen Parole der Neujahrsbotschaft des Führers, in der vom Kampf gegen die ›jüdischen und reaktionären Kriegshetzer in den kapitalistischen Plutokratien‹ die Rede war, auch journalistischen Nachdruck in der täglichen Arbeit zu verleihen«. Antisemitische Themen müssten in Zukunft »zum täglichen Zeitungsstoff werden«. Nur durch »größere Aufmerksamkeit der Hauptschriftleiter in Richtung auf das jüdisch-kapitalistische Thema wird die notwendige propagandistische Dauerwirkung erzielt.« Doch genau dies blieb in den folgenden Wochen und Monaten aus, und auch der Völkische Beobachter reduzierte seine antisemitischen Beiträge bis Ende Januar 1940 wieder auf das übliche Niveau. 36
    In den folgenden Monaten erschienen in der Presse, namentlich den Parteiblättern, zwar immer wieder Artikel, die die britische Regierung als Marionette »der Juden« darstellten, doch als dauerhaftes Leitmotiv der Gesamtpropaganda etablierte sich das Thema nicht. 37 Als beispielsweise die Veröffentlichung von Dokumenten aus dem polnischen Außenministerium Ende März 1940, mit deren Hilfe das deutsche Auswärtige Amt die angebliche Kriegsschuld Englands und Frankreichs beweisen wollte, insbesondere von der Parteipresse für antisemitische Ausfälle genutzt wurde, 38 zogen die nichtnationalsozialistischen Blätter nur halbherzig mit; einige wichtige bürgerliche Zeitungen begnügten sich damit, die Dokumente in antibritischem Sinne zu interpretieren, ohne diese Position mit antisemitischen Angriffen zu verknüpfen. 39
    In den Wochenschauen spielte das Thema Judenverfolgung zwischen Kriegsbeginn und dem Sommer 1941 ebenfalls eine relativ untergeordnete Rolle. Die Ufa-Tonwoche zeigte während des kurzen Krieges gegen Polen und unmittelbar nach der Eroberung insgesamt vier Mal Aufnahmen von jüdischen Wohnvierteln sowie von Juden, die mit Aufräumarbeiten beschäftigt waren. 40 Die Kommentare waren scharf antisemitisch. Es war von »Untermenschentum« und »Verbrechergesindel« die Rede. Die Beiträge ließen durchblicken, dass Exekutionen als Vergeltung für angebliche Anschläge durch Juden stattfanden. 41 Die Deutsche Wochenschau zeigte im Mai 1941 serbische Juden bei Arbeiten im teilweise zerstören Belgrad. 42
    Die Verfahrenheit und Orientierungslosigkeit der deutschen antijüdischen Politik im Zeitraum zwischen Kriegsbeginn und Sommer 1941 spiegelt sich auch im wohl spektakulärsten und aufwendigsten antisemitischen Propagandaprojekt in diesem Zeitraum: Gemeint ist die Produktion einer Serie von antisemitischen Filmen, die bereits 1939 in Auftrag gegeben wurde und

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