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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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dieses selbst geschaffenen Problems öffentlich voranzutreiben. Denn das Generalgouvernement galt zunächst als ein mit unlösbaren Problemen beladener Landstrich, über den am besten so wenig wie möglich nach außen drang. So gab der Sprecher des Propagandaministeriums am 20. Oktober 1939 im Hinblick auf das Generalgouvernement die Parole aus, es werde in Zukunft »pressemäßig über dieses Gebiet nicht viel zu sagen sein, und zwar sowohl aus inneren wie auch aus äußeren Gründen«. Jede größere Stadt habe einen jüdischen Bevölkerungsanteil von mehr als einem Drittel, die allgemeine Lage sei durch Flüchtlingsbewegungen, Zerstörungen und Umsiedlungen gekennzeichnet. Jede Berichterstattung über diese Probleme drohe nur die gegnerische »Gräuelpropaganda« anzustacheln. 7
    Die antijüdischen Maßnahmen im besetzten Polen – Massenumsiedlungen, Ghettobildung, jüdische Zwangsarbeit – wurden in der Presse ebenfalls kaum thematisiert. 8 Gelegentlich erschienen jedoch Reiseberichte über das besetzte polnische Gebiet, in denen, stets mit der Attitüde des Ekels, die »unmöglichen Zustände« in den jüdischen Wohnvierteln geschildert wurden; diese seien typisch für die primitive Lebensweise und Rückständigkeit der osteuropäischen Juden. 9
    Der Angriff brachte zum Beispiel am 24. und 26. Oktober 1939 eine Reportage aus dem besetzten Polen, die auch die Situation der Juden streifte. So heißt es über Bromberg: »An den Mauern der Synagoge bekundet eine große Inschrift, dass die Stadt judenfrei ist.« Am 3. November 1939 erschien eine Reportage über polizeiliches Vorgehen gegen »echte Kaftan-Juden«; die Münchner Neuesten Nachrichten druckten den Beitrag am nächsten Tag nach. Am 17. Februar 1940 folgte unter der Überschrift »Der deutsche Besen kehrt« ein ganzseitiger Beitrag über Lodz. Der Völkische Beobachter schilderte am 13. November 1939 das »Ghetto von Lodz« und am 2. Dezember 1939 eine »Begegnung mit Juden in Polen«. Am 21. März 1940 ging es unter dem Titel »Brutstätte des Judentums« unter anderem – in beschönigender Form – um das vom Lubliner SS- und Polizeiführer Odilo Globocnik initiierte Zwangsarbeitsprogramm. Die NS-Parteikorrespondenz griff das Thema am 24. März 1940 ebenfalls auf: »Antwort auf die Judenfrage im Generalgouvernement: Im Getto aller Gettos – Die Lüge von der Ausrottung – Statt Vernichtung Pflicht zur Arbeit – Bilder aus der Judenmetropole Lublin – SS-Oberführer Globotschnigg [sic!] über die deutschen Maßnahmen.« Am 1. Mai 1940 wusste der Völkische Beobachter aus Lodz (jetzt in Litzmannstadt umbenannt) zu berichten, die Stadt sei »von der jüdischen Krankheit […] durch eine saubere Operation geheilt«; der deutsche Besucher laufe nun nicht mehr Gefahr, durch »dieses ameisenhafte Gewimmel eines unbeschreiblich dreckigen, zerlumpten, stinkenden Judenpacks angeekelt zu werden«. Bei der »Operation« handelte es sich um die Absperrung des Ghettos vom 30. April 1940, auf die hier jedoch nur angespielt wird. Genaueres erfuhren die Leser nicht. Der Völkische Beobachter , immerhin das Zentralorgan der NSDAP, beließ es auch im Weiteren bei wenigen Beiträgen. 10
    Denn diese Art der Berichterstattung ließ sich nicht beliebig ausdehnen, musste sie doch bei den Lesern die Frage auslösen, mit welcher langfristigen Strategie das Regime diesen »unhaltbaren Zuständen« beikommen wollte – und gerade zu dieser Frage wollte und konnte die Propaganda sich nicht äußern. Hinzu kam ein weiterer Gesichtspunkt: die außenpolitische Lage. Vor dem Hintergrund des Nichtangriffspakts mit der Sowjetunion und des Bestrebens, einen amerikanischen Kriegseintritt zu verhindern, gebot es sich, das Stereotyp vom »jüdischen Bolschewismus« nicht weiter zu benutzen und auch die These von der »jüdischen Weltverschwörung« nicht allzu sehr zu strapazieren.
    So ordnete Goebbels Anfang Juli 1940 ausdrücklich an, von Angriffen auf Amerika Abstand zu nehmen, nachdem das Propagandaministerium im Vorjahr, wie geschildert, eine erheblich antisemitisch aufgeladene Kampagne gegen die USA geführt hatte. Nun hieß es, es dürfe »den Juden in Amerika keine Gelegenheit gegeben werden, sich mit uns auf Grund irgendwelcher unbedachter Äußerungen anzulegen«; es sei besser, die USA als »quantité négligeable« zu behandeln. 11 Und hatte das Propagandaministerium vor 1939 noch großen Wert darauf gelegt, jüdische Sowjetfunktionäre bei jeder Nennung mit dem Zusatz

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