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"Davon haben wir nichts gewusst!"

"Davon haben wir nichts gewusst!"

Titel: "Davon haben wir nichts gewusst!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Longerich
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Ende 1940 in die Kinos kam. 43
    Zwar erwies sich der wohl bekannteste dieser Filme, der Spielfilm »Jud Süß«, als ein Kassenerfolg; sollte Goebbels jedoch die Absicht verfolgt haben, mit dieser stark manipulierten Adaption eines historischen Stoffes die nationalsozialistisch dirigierte Öffentlichkeit auf die endgültige gewaltsame Vertreibung der jüdischen Minderheit vorzubereiten, so kam der Film zum falschen Zeitpunkt in die Kinos. Denn als der Film mit großem Propagandaaufwand anlief, war eine umfassende Vertreibung praktisch gar nicht möglich, und als die Verschleppungen fast ein Jahr später, im Herbst 1941, einsetzten, schwieg die Propaganda das Thema tot. 44 Der Film war zwar in hohem Maße geeignet, antisemitische Stereotype zu veranschaulichen und zu verstärken; über diese allgemeine Funktion hinaus aber hatte er keine »Lösung« anzubieten, die der aktuellen antijüdischen Politik entsprochen hätte. Der zweite antisemitische Spielfilm »Die Rothschilds« war demgegenüber nur ein mäßiger Publikumserfolg, die Leute reagierten gemischt: Während die einen dem Film »plumpe Stimmungsmache« vorwarfen, war die Aufnahme in »nationalsozialistischen Kreisen« durchweg gut. 45 Der dritte Film aus dieser Serie, der Kompilationsfilm »Der Ewige Jude«, erwies sich beim breiten Publikum trotz großen Propagandaaufwandes 46 als Misserfolg: Der Berichterstattung des SD lässt sich entnehmen, dass der Film, der unter anderem die Zustände in den polnischen Ghettos mit Rattennestern verglich, an vielen Orten nur von dem »politisch aktiveren Teil der Bevölkerung« besucht wurde, »während das typische Filmpublikum ihn teilweise mied und örtlich eine Mundpropaganda gegen den Film und seine stark realistische Darstellung des Judentums getrieben wurde«. 47 Stellte die Propaganda die elende Lage der polnischen Juden zu drastisch dar – so legen diese Äußerungen nahe -, konnte dies aus Sicht des Regimes zu kontraproduktiven Wirkungen führen. Zumindest zu diesem Zeitpunkt wurde damit in erster Linie die »Perspektivlosigkeit« der deutschen »Judenpolitik« vorgeführt. Die 1939 in Auftrag gegebenen antisemitischen Filme ragen ein Jahr später gleichsam wie ein erratischer Block in die veränderte Situation hinein.

Reaktionen der Bevölkerung
    Da die antijüdischen Maßnahmen seit Herbst 1939 überwiegend und ganz bewusst im Verborgenen, ohne Einschaltung der nationalsozialistisch gelenkten Öffentlichkeit vollzogen wurden, spielte die »Judenfrage« in den Stimmungsberichten des Regimes im Zeitraum zwischen Kriegsbeginn und Sommer 1941 keine besondere Rolle. 48 Lediglich in den Monaten unmittelbar nach Kriegsbeginn widmeten die Behörden und die nationalsozialistisch orientieren Bevölkerungskreise den in Deutschland lebenden Juden verstärkte Aufmerksamkeit. Das Verhalten der Juden, so die offiziellen Stimmungsberichte, werde als auffällig und provozierend empfunden; 49 sie würden von der »Volksstimmung« für die vorübergehende Stimmungseintrübung nach Kriegsbeginn verantwortlich gemacht. 50
    Der Bericht der SD-Außenstelle Mainz vom 13. September macht anschaulich deutlich, was als herausfordernd verstanden wurde: »Sie [die Juden; P. L.] bevorzugen zu ihren Spaziergängen die schönsten Straßen, Anlagen und die Hauptdurchgangsstraßen. Hier beobachten sie mit Aufmerksamkeit die Truppenbewegungen. Die Bevölkerung bezeichnet dieses Verhalten als provozierend.« 51 Vereinzelt unternahmen Parteiaktivisten Übergriffe gegen Juden. 52
    Entsprechend der – wenn auch halbherzigen – antisemitischen Propaganda behaupteten die offiziellen Berichterstatter in den ersten Kriegsmonaten, der Kriegsbeginn werde mit der Existenz und dem Verhalten der Juden in Verbindung gebracht. Den Berichten zufolge hielt »die Bevölkerung« die Juden für schuldig am Krieg, 53 unterstellte ihnen, dass sie für die Feindseite spionierten, 54 auf die Niederlage des Reiches warteten, um Rache nehmen zu können, und vermutete sie hinter dem Attentat auf Hitler im November 1939: Nach dem Attentat häuften sich die gewalttätigen Übergriffe gegen Juden. 55 Der Ruf nach »Vergeltung« werde laut. 56
    Nach den ersten Kriegsmonaten scheint sich jedoch – im Einklang mit dem Abflauen der antisemitischen Propaganda – die antijüdische »Erregung« der deutschen Bevölkerung wieder gelegt zu haben. Auffallend ist, dass die Stimmungsberichte für das Jahr 1940 nur relativ wenig über die »Judenfrage« zu berichten haben:

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