Dawning Sun (German Edition)
malen, und Bauwerke, und irgendwelches abstrakte Zeug. Ich müsste mit Öl malen und all so’n Kram, den ich nicht mag. Und irgendwelche Professoren würden mir vermutlich erklären, dass jeder Affe lernen kann, ein Gesicht zu zeichnen, so, wie die Natur es hat wachsen lassen. Ein wahrer Künstler muss etwas Einzigartiges hervorbringen. Etwas, was nie zuvor dagewesen ist, ob die Welt das nun braucht oder nicht oder überhaupt was davon wissen muss. Das will ich nicht. Verstehst du, zeichnen ist für mich etwas ganz Persönliches, das ich nicht teilen mag.“ Tom wurde immer leiser, es schien beinahe, als würde er zu sich selbst statt zu Josh sprechen. „Als Illustrator oder Designer müsste ich das bringen, was meine Kunden wollen. Und von meiner Zeichnerei leben … Nee, das wär mir zu unsicher. Ich kratze jetzt schon am Limit.“
„Rund vier Euro pro Tag ist wirklich sehr knapp. Warum halten dich deine Eltern so kurz? Und warum bist du überhaupt so früh ausgezogen, obwohl du es dir nicht leisten kannst?“
Seufzend schüttelte Tom den Kopf und widmete sich wieder seinem Essen. Er machte dicht, Josh konnte es regelrecht spüren. Mehr Antworten würde er nicht bekommen. Es war zum Schreien, so unglaublich frustrierend! Doch er wollte sich nicht davon herunterziehen lassen. Fieberhaft überlegte Josh, womit er das Gespräch in ruhigere Gewässer zurückbringen könnte. Irgendetwas, um sie beide abzulenken.
„Bin gleich wieder da“, murmelte er schließlich und ging zum Tresen, wo er zwei extragroße Pizza Margherita und eine große Tüte Brötchen mit Kräuterbutter zum Mitnehmen bestellte und gleich noch zwei Flaschen Orangensaft dazu nahm.
„Du musst das nicht tun.“ Tom wirkte beschämt, aber er protestierte nicht wirklich.
„Das ist für dich. Niemand soll hungern oder frieren, wenn es sich vermeiden lässt. Pizza schmeckt auch kalt ganz gut, die Brötchen solltest du heute Abend noch essen. Ich bekomme zuhause genug von allem.“ Der Gedanke, nach Hause gehen zu müssen, war bitter. Ändern ließ es sich nicht, und es würde schlimmer werden, je länger er es aufschob. Er half Tom, alles in dessen Wohnung zu transportieren. Es war bereits dunkel draußen und er wusste, seine Mutter machte sich verrückt vor Sorge. Sie vertraute Tom nicht. Sie vertraute ihm nicht.
„Komm morgen wieder, wenn es geht“, murmelte Tom zum Abschied. Er küsste ihn zärtlich, nahm Joshs Gesicht zwischen beide Hände und betrachtete ihn minutenlang. Da war dieses glückliche Strahlen, das so wunderschön aussah …
Er ist die schlafende Sonne, eindeutig!, dachte Josh.
„Du hast keine Festnetznummer, oder?“, fragte er. Tom schüttelte den Kopf. „Kannst du mir deine E-Mail-Adresse geben? Wenn was ist, kann ich dich wenigstens erreichen.“
Tom zögerte, nickte dann aber. Sein schiefes Grinsen, als er den Zettel mit der Adresse überreichte, veranlasste Josh, genau hinzusehen.
Darkdemonrider, woher kannte er diesen Nicknamen?
Moment mal …
„Du bist Darkdemonrider?“, fragte er verblüfft. Jemand hatte im vergangenen Jahr sporadisch Artikel für die Schülerzeitung eingereicht, ohne sich je zu erkennen zu geben. Da es nett geschriebene Beiträge waren, die sich durch feinen, subtilen schwarzen Humor auszeichneten, waren sie stets angenommen worden.
„Ich schreibe manchmal ganz gerne, ja.“ Tom zwinkerte ihm zu. „Deine Artikel sind besser.“
Josh wollte protestieren, wurde allerdings mit einem leidenschaftlichen Kuss aufgehalten.
Mit einer letzten Umarmung trennten sie sich. Josh wusste, er würde die Minuten zählen, bis er zurückkommen durfte.
19.
„Josh, ein solches Verhalten kann ich nicht tolerieren.“ Sein Vater hielt ihm seit mindestens zehn Minuten eine Gardinenpredigt. Das Schlimme dabei war wie üblich, dass er nicht wütend, sondern enttäuscht klang. Vor lauter Schuldgefühlen wusste Josh nicht, wo er hinblicken sollte. Wie er das hasste!
„Du magst laut Gesetz erwachsen sein, aber in diesem Haus gibt es Regeln, die eingehalten werden müssen“, sagte sein Vater traurig.
„Ich war bei einem Freund lernen, wo ist denn da das Problem?“, murmelte Josh niedergeschlagen.
„Deine Mutter hatte dich gebeten, nach Hause zu kommen. Du weißt genau, dass du ihr lange genug vorher Bescheid sagen musst, wenn du nicht beim Mittagessen dabei bist. Sie hatte sich heute extra für dich solche Mühe gegeben! Warum respektierst du diese Mühe nicht?“
„Das tue ich.“
„Davon merke ich nichts!
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