Dawning Sun (German Edition)
bloß fünf seiner ehemaligen Bücherfreunde.
Manchmal muss man alte Freunde aufgeben, auch, wenn es weh tut.
Josh trampelte achtlos über das Schlachtfeld hinweg und ging ins Bad, um sich bettfertig zu machen.
Sascha stand in der Tür zu seinem eigenen Zimmer, als Josh zurückkam und musterte ihn wieder auf diese seltsame Weise.
„Mama fürchtet, dass du da drinnen alles kurz und klein schlägst.“
„Nur ein paar Bücher und ein Loch in der Wand. Ich bin fertig.“
„Geht’s besser?“, fragte Sascha.
„Bestens.“ Josh lächelte, hoffend, dass es nicht nach Haifischgrinsen aussah, und kroch zufrieden und niedergeschmettert zugleich in sein Bett. Ob er noch wach miterlebte, wie sein Kopf das Kissen berührte, wusste er nicht.
20.
Toms Augen wurden immer dunkler, je länger er das Video anschaute. Joshs erbarmungswürdiges Gebrüll berührte ihn sichtlich. Als es vorbei war, kämpfte er um seine Fassung.
„Es ist gut, dass ich es erst jetzt gesehen habe“, murmelte er schließlich. „Ich hätte andernfalls Nico letzten Montag krankenhausreif geprügelt. Vielleicht wäre er auch gar nicht mehr aufgestanden.“
Er atmete tief durch und streichelte Josh sanft über der Wange.
„Wie geht es dir?“, fragte er leise.
„Meine Eltern machen mich wahnsinnig. Meine Mutter weint die ganze Zeit, sobald sie mich sieht und mein Vater will mich abwechselnd zur Polizei oder zum Psychiater schleppen. Ich verstehe nicht, warum sie so reagieren.“ Josh spielte mit einem der allgegenwärtigen Bleistifte. Tom hatte seine Zeichenutensilien wirklich überall verteilt. Bloß die fertigen Bilder bekam man kaum zu Gesicht. „Es ist ja normal, dass das Video sie schockiert hat und sie irgendwas tun wollen. Aber, hm, ja, es ist, als wären sie wütend auf mich, weil ich so blöd war, mir das antun zu lassen. Wütend, weil ich sie dadurch zwinge, sich schlecht zu fühlen. Meine Mutter sagt in einer Tour: ich ertrag es nicht . Mein Vater will mich reparieren wie eine kaputte Maschine. Die Frage, wie es mir geht oder was ich brauche, damit es mir besser geht, stellen sie gar nicht. Im Gegenteil, sie nehmen es mir übel, weil ich weder ins Krankenhaus, zur Psychiatrie noch zur Polizei gehe. Sie verlangen von mir, dass ich die Welt für sie in Ordnung bringen soll.“
Tom nahm ihn still in die Arme. Es tat unglaublich gut, sich an ihn zu lehnen, von diesem starken Körper beschützt zu werden.
„Sie lieben dich, Josh. Es ist nicht ihre Schuld, dass sie nicht begreifen können, was da mit dir geschehen ist. Sie wollen dir helfen und verstehen nicht, warum du ihre Hilfe so vehement ablehnst. In ihrer heilen Welt gab es diese Art von Gewalt bislang nicht, das waren Probleme der anderen. Jetzt sind es ihre. Es überfordert sie.“
„Ist das der Grund, warum du von Zuhause ausgezogen bist?“
Tom schwieg, Josh hatte einmal mehr verbotenes Terrain betreten. Doch er ließ ihn nicht los, schickte ihn nicht weg und verschloss sich auch nicht vollständig vor ihm. Ein kleiner Fortschritt.
„Ja“, flüsterte Tom viel später. „Ja, das ist der Grund.“
Als Josh an diesem Abend nach Hause ging, fühlte er sich besser. Es war ein schöner Tag gewesen, den sie mit Kuscheln, gemeinschaftlichem Schweigen, ernsten Gesprächen, kalter Pizza, einem Spaziergang im Regen und Musik hören verbrachten hatten. Tom hatte ihn mit auf den Speicher genommen, wo er eine gute Stunde trainierte, während Josh ihm staunend zusah und nebenher fleißig die Fallübungen absolvierte, die Tom ihm gezeigt hatte. Tom machte sich Sorgen um ihn, genau wie seine Eltern, aber er zwang ihn nicht, sich deswegen schuldig zu fühlen oder verantwortlich, ihm diese Sorgen zu ersparen. Er half ihm auf die richtige Weise.
Ihm graute vor morgen. Das Video war am vergangenen Mittwoch ins Netz gestellt worden. Bereits am Samstag war es bei Sascha gelandet. Es wäre sinnlos zu hoffen, dass irgendjemand in der Schule es nicht längst kannte. Doch Tom hatte versprochen, auf ihn zu warten, damit sie gemeinsam in die Klasse gehen konnten.
„Ich setze mich neben dich. Und wer dich anmachen will, muss zuerst an mir vorbei.“
Josh hatte nicht gefragt, was sich geändert hatte. Warum Tom jetzt bereit war, sich öffentlich zu ihm zu stellen. Neugierig war er schon, allerdings nicht genug, um irgendein Risiko einzugehen, dass Tom es sich vielleicht anders überlegte.
21.
Es war gruselig still. Gleichgültig, wo Josh vorbeikam, alle Gespräche verstummten. Alle Augen
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