Dawning Sun (German Edition)
zurück an seinen Platz eilte. Neben ihm stand Tom, der sich immer noch nicht von seinem freudigen Schreck über den mit Joshs identischen Durchschnitt erholt hatte – sein Hauptziel war „bestehen“ gewesen. Er trug tatsächlich den schwarzen Anzug, zu dem seine Eltern ihn genötigt hatten. Mit Krawatte und weißem Hemd. Selbst auf die Mütze hatte er verzichtet, obwohl er nach der letzten Radikalschur zur Beseitigung der verbliebenen schwarzen Spitzen fast als Skinhead hätte durchgehen können. Josh freute sich darauf, dass diese Phase bald überstanden war. Tom sah so viel jünger aus mit den millimeterkurzen Haaren. Verletzlich.
Es schien ewig zu dauern, bis sie endlich von dieser Bühne herunter durften. Bis jetzt hatte Tom ein Stück entfernt gestanden, was Josh sehr recht war. Sie wurden auch so schon von allen Seiten angestarrt, das Flüstern und Spekulieren war kein bisschen weniger geworden. Von Nico und Leon hatte er nicht mehr gehört, er hatte lediglich mit dem Staatsanwalt sprechen müssen. Irgendwann würde die Gerichtsverhandlung stattfinden und dann musste er öffentlich schildern, was geschehen war. Keine heiteren Aussichten … Doch danach war dieses scheußliche Kapitel hoffentlich abgeschlossen und er konnte anfangen, es zu vergessen. Vielleicht würden die Albträume aufhören, die ihn weiterhin quälten. Zumindest war Tom da und half ihm geduldig durch diese Nächte, die sie abwechselnd in Toms Wohnung und in Joshs Zimmer zusammen verbrachten – mit dem unwilligen Segen seines Vaters. Solange sie sich sittlich benahmen und draußen den Nachbarn keinen Anlass für Gerede boten, war Tom willkommen und durfte oft bei ihnen mitessen. Dass er keine psychiatrische Hilfe annehmen wollte, wurde hilflos akzeptiert. So vieles hatte sich geändert …
Einen Sportumkleideraum hatte Josh jedenfalls seither nicht mehr betreten können, und Handball war aus seinem neuen Leben gestrichen. Es fehlte ihm manchmal: die Turniere, der Rausch beim Sieg, der Frust bei den Niederlagen, die Zuschauer, die mit ihnen jubelten …
Alles vorbei. Es war schon vorher klar gewesen, dass sich das ändern würde. Josh hatte nie Ambitionen gehabt, professioneller Spieler zu werden und neben der Uni hätte er nicht mehr regelmäßig dabei sein können. Doch das war immer so weit weg gewesen. Etwas Nebulöses, das jenseits des Abiturs lag.
Er würde in naher Zukunft umziehen. Weit weg von Zuhause, damit er bei Tom bleiben konnte. Mit ihm gemeinsam wollte er sich eine Uni suchen, wo er Journalismus studieren konnte, während Tom weiterhin in die Chemie strebte. Seine eigenen Berufsziele kannte Josh noch nicht, so weit wollte er auch nicht denken.
Nein, lieber die nächsten Monate genießen, ganz ohne Lernen, Prüfungsangst und Verpflichtungen.
Josh fuhr erschrocken zusammen, als er am Arm berührt wurde. Einen Moment später hatte Tom seine Hand umfasst. Automatisch blickte sich Josh um, sie befanden sich inmitten von hunderten Leuten, ausgeschlossen, dass das unbemerkt blieb! Tom lächelte sein typisches Tom-Lächeln. Eben das, bei dem die Sonne aufging und Josh vor Glück einfach nur zurückstrahlen konnte. Die heftigen Bewegungen verursachten ein leichtes Brennen auf der Brust. Der Verband war glücklicherweise dünn genug, dass er nicht auftrug, trotz des dünnen Hemdes. Gestern war seine Tätowierung vollendet worden: Ein Phönix, der aus Flammen emporstieg, auf einen Feuerball zustrebend. Die Vorlage hatte Tom gezeichnet, der Tätowierer hatte sie ihm sofort abgekauft. Es zwickte noch ein wenig. Aber das war es Josh allemal wert. Nun gab es einen Ausgleich für den Schreckensdämon auf Toms Körper …
Unbeirrt zog Tom ihn an der murmelnden, glotzenden, kichernden Menge vorbei, zielstrebig auf ein Paar zu, bei dem es sich um Toms Eltern handeln musste, denen Josh bislang nie begegnet war. Toms Mutter trug ein elegantes weißes Kostüm, ihre hellblonden Haare waren ebenfalls sehr elegant hochgesteckt. Ihr Mann war groß, stark übergewichtig und strahlte die Unnahbarkeit des reichen und vor allem erfolgreichen Managertyps aus. Auch seine Kleidung sprach von Geld und Geschmack. Lediglich die Gesichts- und Augenform bezeugten, wer er sein musste. Wenn Josh daran dachte, wie erbärmlich knapp sie ihren eigenen und einzigen Sohn gehalten hatten, wurde ihm schlecht. Die Logik dahinter war ebenso einfach wie kaltherzig: Sie wollten, dass Tom zurück zu ihnen nach Hause zog. Da er das ablehnte, machten sie ihm die Freiheit so
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