Days of Blood and Starlight
selbst mit all ihren Armeen nicht geschafft, aber Madrigal und ihr geliebter Engel hatten gemeinsam einen wunderschönen Traum geträumt, und obgleich der Traum von der Axt des Henkers zunichtegemacht worden war, wusste Brimstone besser als jeder andere, dass der Tod manchmal nicht so endgültig war, wie er schien.
Zu Tausenden strömten die vereinigten Chimärenstämme die lange Wendeltreppe hinunter. Sie würde hinter ihnen zum Einsturz gebracht werden, es würde keinen Ausweg geben. Der Anblick der unterirdischen Kathedrale war atemberaubend. Sie drängten sich dicht aneinander und sangen eine Hymne. Es war gut möglich, dass dieser Ort nie mehr sein würde als ihr Grab, aber dennoch war dies die leichte Wahl.
Die schwere Wahl trafen diejenigen, die oben blieben. Sie konnten sich nicht alle verstecken, denn wenn die Engel Loramendi verlassen vorfanden, würden sie erraten, was sie getan hatten, und nach ihnen suchen. Also mussten einige – viele – zurückbleiben, um die Engel zufriedenzustellen. Sie würden sich von ihnen töten und verbrennen lassen. Die Alten blieben und mit ihnen die meisten, die ihre Kinder verloren hatten, sowie eine ungeheuer große Zahl der Flüchtlinge, die so viel durchgemacht und sonst nichts mehr herzugeben hatten.
Sie opferten sich, um anderen ein neues Leben in einer besseren Zeit zu ermöglichen.
Mit all diesem Wissen war Karou nun bewaffnet, aber nicht nur damit: An diesem Morgen hingen ihre Mondsichelklingen an ihrem Gürtel, und ihr kleines Messer steckte in ihrem Stiefel. Zusammen mit Issa war sie auf dem Weg zum Hof, wo Thiago in der klaren, kühlen Luft bereits seine Truppen um sich versammelt hatte. Amzallag würde wie immer eins der Teams anführen, und der mürrische Soldat tat ihr leid. Sie wünschte, sie könnte ihm ihre Neuigkeiten unter vier Augen mitteilen, und auch ein paar anderen, denen sie genauso viel bedeuten würden wie ihm.
Amzallag hatte Kinder. Oder jedenfalls hatte er Kinder gehabt, bevor Loramendi gefallen war.
»Wir greifen nördlich von Astrae an«, sagte Thiago gerade. »Die Städte dort sind dürftig befestigt und schlecht bewacht, und die Einwohner haben seit Hunderten von Jahren keine richtige Schlacht mehr gesehen. Mein Vater ist mit der Zeit weich geworden und hat eine defensive Haltung eingenommen. Aber jetzt haben wir nichts mehr zu verteidigen.«
Es war eine kühne Behauptung, die mehrere Soldaten unruhig von einem Fuß auf den anderen treten ließ. Thiagos Bemerkung klang fast, als würde er dem Kriegsherrn die Schuld am Untergang ihres Volkes geben.
»Doch, das haben wir«, widersprach Karou und trat durch genau den Torbogen, wo sie sich schon versteckt hatte, um Ziri und Ixander beim Training zuzusehen. Thiago wandte ihr seine wohlwollende Maske zu; wie fadenscheinig sie doch war, wie absolut unüberzeugend … »Wir haben etwas zu verteidigen.«
»Karou«, sagte der Weiße Wolf und hielt nach Ten Ausschau, ihrer Verräter-sitterin. Aus dem Augenwinkel sah Karou die Wölfin auf sich zukommen.
»Es gibt immer noch Leben, die wir retten können«, fuhr sie unbeirrt fort. »Und wir haben die Wahl.« Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, da wurde ihr klar, dass sie unbewusst Akivas Worte wiedergegeben hatte. Ihr wurde heiß und kalt, obwohl natürlich niemand wissen konnte, dass sie dem Bestienbezwinger nach dem Mund plapperte. Aber Akiva hatte einfach richtiggelegen. Richtiger, als ihm selbst klar gewesen sein konnte.
»Die Wahl?« Thiago bedachte sie mit einem kühlen, berechnenden Blick. Tens Hand schloss sich um Karous Arm.
»Du erinnerst dich doch bestimmt noch an die Wahl, vor die ich dich gestern gestellt habe, oder?«, knurrte die Wölfin sie leise an.
»Welche Wahl, Ten?«, fragte Karou in normaler Lautstärke. »Meinst du die Wahl zwischen Zuzana und Mik – wen von den beiden du zuerst umbringen sollst? Die habe ich schon getroffen. Ich habe meine Freunde in Sicherheit gebracht, und du wirst niemanden umbringen. Und lass mich los!« Mit einem Ruck befreite sie ihren Arm aus Tens Griff und wandte sich wieder den Soldaten zu. Ein Großteil blickte verwirrt zwischen ihr und Thiago hin und her. »Ich meine die Wahl, ob wir lieber unschuldige Seraphim töten oder unser eigenes Volk beschützen wollen.«
»Es gibt keine unschuldigen Seraphim«, entgegnete der Weiße Wolf.
»Genau das Gleiche sagen sie, wenn sie unsere Kinder töten.« Wie von selbst schweifte ihr Blick zu Amzallag hinüber. »Manche glauben es sogar. Aber wir
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