Days of Blood and Starlight
muss, wo einer von ihnen doch dein Geliebter ist.«
Darauf würden seine Argumente immer wieder hinauslaufen, und ironischerweise stellte Karou fest, dass sie sich mit jedem Mal, dass der Weiße Wolf ihr »Verbrechen« erwähnte, weniger dafür schämte. Was war so schlimm daran, dass sie sich verliebt und von Frieden geträumt hatte? Brimstone hatte ihr vergeben. Er hatte ihr mehr als nur vergeben: Er hatte an ihren Traum geglaubt. Und jetzt hatte er ihr – nicht Thiago, sondern ihr – die Aufgabe anvertraut, ihrem Volk ein neues Leben zu ermöglichen.
Und sie hatte den Berg von Turibula in ihrem Zimmer für eine schwere Bürde gehalten … Oh, was so eine veränderte Perspektive alles bewirken konnte! Doch das Gefühl, das sie während Issas Erzählung über die Kathedrale überkommen hatte, war nicht das schreckliche Gefühl, in der Falle zu sitzen, das sie immer erfasst hatte, wenn sie sich zwang, nach Thiagos Pfeife zu tanzen. Es war vollkommen anders. Jetzt kam es ihr vor, als hätte sie sich die ganze Zeit geduckt, und nun war Brimstone gekommen, nahm ihre Hand und richtete sie auf. Es war wie eine Erlösung.
Sie sah Issa an, die Schlangenfrau nickte ihr zu, und Karou holte tief Luft, bevor sie an die Rebellen gewandt fortfuhr: »Die meisten von euch haben gejubelt, als ich hingerichtet worden bin. Vielleicht denkt ihr, das alles ist meine Schuld. Ich erwarte nicht, dass ihr auf mich hört, aber ich hoffe, ihr hört auf Brimstone.«
Damit hatte sie ihre Aufmerksamkeit gewonnen. »Brimstone?«, fragten ein paar ungläubig. Sie sahen Issa an, genau wie sie sollten.
Auch Thiagos kalte Augen richteten sich auf die Schlangenfrau. »Was soll das heißen?«, fragte er. »Spricht Brimstones Geist etwa durch dich, Naja?«
»Wenn du es möchtest, Wolf«, erwiderte Issa. Sie wandte sich den anderen Soldaten zu. »Ihr alle kennt mich. Ich war jahrelang Brimstones Gefährtin, und jetzt bin ich seine Botschafterin. Er hat mich in einem Turibulum aus Loramendi ausgesandt, um euch seine Nachricht zu überbringen, deshalb konnte ich nicht an seiner Seite sterben, obwohl ich es so gewollt hätte. Wir mussten beide große Opfer bringen, und deshalb bitte ich euch, mir aufmerksam zuzuhören. Die Vorstellung, dass Tod, Verstümmelung und Terror uns jemals in ein besseres Leben führen könnten, ist grotesk. Sie werden uns das bescheren, was sie immer schon beschert haben: noch mehr Tod, mehr Verstümmelung, mehr Terror. Wenn ihr glaubt, Rache sei alles, was euch noch geblieben ist, hört mir zu.« Wie schön Issa war, hoch aufgerichtet auf ihren Schlangenwindungen, wie majestätisch mit der ausgebreiteten Kobrahaube und den tiefgrünen Schuppen, die im Licht der Morgendämmerung wie geschliffene Smaragde glänzten. Sie war atemberaubend, als sie strahlend und mit bebender Stimme verkündete: »Ihr habt mehr zu verlieren und vor allem mehr zu gewinnen , als ihr glaubt.«
Töte das Monster. Verändere die Welt.
»Der Imperator ist jetzt bereit, euch zu empfangen.«
Akiva hatte über die Himmelsbrücke auf die grauen Glaskuppeln des Serails gestarrt, wo er geboren war. Von außen war der Palast so abgeschottet und still, so undurchschaubar, aber er erinnerte sich vage an Lärm und Licht, Kinder und Babys, an Spiele und Gesang – er schaute sich nach der Stimme um. Es war der Seneschall Byon, der, auf seinen Stock gestützt, unter dem hohen, schweren Bogen des Alef-Tors und den beiden Silberschwertern, die neben ihm aufragten, sehr klein aussah. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein freundlicher weißhaariger Großvater, aber dieser Eindruck war trügerisch. Byon war es, der die Listen mit den Bastarden des Imperators führte und die toten löschte, damit ihre Namen einem Neugeborenen gegeben werden konnten. Bei seinem Anblick überlegte Akiva unwillkürlich, ob er den alten Seraphen überleben würde oder ob auch sein eigener Name bald von dieser knotigen Hand gestrichen würde. Sechs Akivas hatte er bereits annulliert, was war da einer mehr?
Einen Augenblick hatte er das Gefühl, nichts weiter zu sein als ein Platzhalter für einen Namen – einer von vielen fleischgewordenen Platzhaltern für einen Namen, der wie alles andere dem Imperator gehörte. Endlos ersetzbar. Aber dann konzentrierte er sich wieder auf das Vorhaben, weshalb er gekommen war, und begegnete Byons rattenschwarzem Blick mit der kultivierten Leere, die seit Jahren sein normaler Gesichtsausdruck war.
Nein, er war kein Platzhalter. Es würde keinen
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