Days of Blood and Starlight
Tür kam, war Thiagos Wölfin, eine schleichende Tierkreatur. Als sie die Engel erblickte, duckte sie sich und knurrte. Aber Akiva sah sie nicht einmal an, denn hinter ihr, auf der Schwelle innehaltend, die Wangen gezeichnet von den verschorften Kratzern, die Akivas schlimmsten Verdacht bestätigten, stand der Weiße Wolf.
Der Engel und der Wolf
»Hast du Besuch, Karou? Ich wusste gar nicht, dass du heute eine Party gibst.«
Oh, diese Stimme, diese Ruhe und Verachtung, diese leichte Andeutung von Amüsement. Karou konnte sich nicht dazu bringen, ihn anzusehen. Leben in den blassen Augen, Kraft in den klauenbewehrten Händen. Das war falsch, so falsch. Und sie war dafür verantwortlich. Galle stieg ihr in die Kehle, sie hätte erneut auf die Knie fallen und sich übergeben können.
»Ich wusste es auch nicht.«
Das ist die einzige Möglichkeit , sagte sie sich, aber ihr Zittern wurde stärker, je mehr sie dagegen ankämpfte. Sie richtete den Blick auf einen Punkt hinter ihm, aber die Gestalten von Lisseth und Nisk füllten den Korridor, und auch sie wollte Karou nicht anschauen. Niemals würde sie die Kälte in ihren Gesichtern vergessen oder vergeben können, als sie sich hinkend von der Grube zurückgeschleppt hatte, blutbefleckt und zitternd, starr vor Entsetzen, Thiago hinter sich herziehend.
Und Thiago selbst …
Nun betrat auch er das Zimmer. Karou hörte, wie sich seine Krallen in den Lehmboden gruben, sie roch seinen Moschusduft, aber sie konnte ihn nicht ansehen. Er war eine verschwommene weiße Gestalt am Rand ihres Blickfelds, die langsam den Raum durchquerte, um sich an ihre Seite zu stellen und den Engeln entgegenzutreten. An ihrer Seite, als wären sie Verbündete.
Und … das waren sie.
Sie hatte eine Wahl getroffen. Um Brimstones Vertrauen in sie und den Namen zu verdienen, den er ihr gegeben hatte. Um sich für die Rettung – und Wiederauferstehung – ihres Volkes einzusetzen, mit allen notwendigen Mitteln, um jeden Preis. Und Thiago war notwendig. Die Chimären folgten ihm. Es war der einzige Weg, aber dadurch wurde es nicht leichter, neben ihm zu stehen und das Gewicht von Akivas Blick auf sich zu spüren, und als sie sich ihm zuwandte – irgendwohin musste sie ja schauen –, den Abscheu und die Verwirrung in seinem Gesicht zu sehen, die Fassungslosigkeit. Als könnte er nicht glauben, dass sie die Nähe dieses Monsters ertrug.
Ich bin auch ein Monster , wollte sie ihm sagen. Ich bin eine Chimäre, und ich werde tun, was ich tun muss, um mein Volk zu retten.
Dieser falsche Mut. Ihr Gesicht war trotzig und herausfordernd, aber nur aufgesetzt. Schon immer war das Feuer von Akivas Augen wie eine Zündschnur gewesen, die die Luft zwischen ihnen in Brand setzte, und das war auch jetzt nicht anders. Karou brannte, aber vor Scham, weil sie ihm als Verbündete des Wolfs gegenübertrat. Der Engel und der Wolf, zusammen in einem Zimmer. Auf einmal kam es ihr vor, als wäre sie schon immer auf diesen Moment zugesteuert, und nun war er gekommen: Der Engel und der Wolf standen sich gegenüber, und Akivas Augen waren rot, er war grau, entkräftet, krank und voller Kummer, und sie … sie stand neben dem Wolf, als wären sie Herr und Herrin dieser blutigen Rebellion.
Es ist nicht so, wie du denkst , hätte sie Akiva sagen können.
Es ist noch schlimmer.
Aber sie sagte nichts. Sie würde ihm keine Erklärungen und Entschuldigungen liefern. Stattdessen wandte sie sich Thiago zu. Seit sie von der Grube zurückgekehrt waren, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Jetzt zwang sie sich, ihn anzublicken. Wenn sie das nicht konnte, welche Chance gab es dann für all das, was vor ihr lag?
Sie blickte ihn an.
Der Weiße Wolf war gebieterisch und atemberaubend, ein Kunstwerk, dem man Brimstones Talent ansah. Zwar war er heute nicht so makellos wie sonst, aber in Anbetracht der letzten anderthalb Tage war das kein Wunder. Seine Ärmel waren unordentlich über die gebräunten, muskulösen Unterarme hochgekrempelt, und anscheinend hatte Ten sich nicht ganz so aufmerksam um die Haare ihres Herrn und Meisters gekümmert, denn sie waren hastig nach hinten gekämmt und zu einem flüchtigen weißen Knoten gebunden. Ein paar Strähnen hatten sich bereits gelöst, und er strich sie mit einer Spur von Ungeduld zurück. Auf dem verhassten schönen Gesicht waren die Kratzer von Karous Fingernägeln unübersehbar, aber die Wunde unter seinem Kinn, wo ihre Klinge eingedrungen war, hatte sich geschlossen, war geheilt und
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