Days of Blood and Starlight
leben wie er. Möglicherweise war es der fadenscheinigste Grund zur Hoffnung, den er jemals gehört hatte – wir sind am Leben und in der gleichen Welt –, aber er klammerte sich daran, während er ihr erklärte, dass er plante, zum Portal von Samarkand zu fliegen, ehe er zum hiesigen Portal zurückkam. Er wollte sie fragen, wohin die Rebellen jetzt ziehen würden, aber er konnte es nicht. Es stand ihm nicht zu, das zu erfahren. Sie waren immer noch Feinde, und wenn er sie jetzt verließ, würde Karou wieder aus seinem Leben verschwinden, ob für lange Zeit oder für immer, das konnte er nicht wissen.
»Wie viel Zeit braucht ihr?«, fragte er mit halberstickter Stimme. »Um euch zurückzuziehen?«
Wieder sah sie zur Tür, und Akiva spürte ein Brennen von Wut und Eifersucht, weil er wusste, dass sie zu Thiago gehen würde, wenn er weg war, und dass sie gemeinsam ihren nächsten Schritt planen würden und dass Karou, ganz gleich, wohin die Chimärenrebellen zogen, immer bei Thiago sein würde und nicht – niemals – bei ihm. Auf einmal war seine Selbstbeherrschung dahin, und er machte einen schweren Schritt auf sie zu, »Karou, wie …? Nach allem, was er dir angetan hat?« Er wollte die Hand nach ihr ausstrecken, aber sie wich zurück und schüttelte heftig den Kopf.
»Nicht.«
Er ließ die Hand sinken.
»Du solltest dir kein Urteil erlauben«, sagte sie in einem ungestümen Halbflüstern. Ihre Augen waren nass, groß und verzweifelt unglücklich, und er sah, wie sich ihre Hand in einer alten Instinktbewegung zu ihrem Hals bewegte, dorthin, wo sie früher einmal an einem Band einen Wunschknochen getragen hatte. Auch in ihrer ersten gemeinsamen Nacht hatte sie ihn getragen; sie hatten ihn zerbrochen, als die Sonne aufzugehen drohte und sie wussten, dass sie sich trennen mussten, und in den folgenden Tagen war das ihr Ritual geworden. Immer beim Abschied. Sicher, ihr Wunsch hatte sich in den folgenden Tagen und Wochen weiterentwickelt und war zu ihrem großen Traum von einer neuen Welt geworden, aber er hatte viel bescheidener begonnen. In dieser ersten Nacht war ihr Wunsch einfach der gewesen, dass sie sich wiedersehen würden.
Aber Karous Hand fand nichts an ihrem Hals und senkte sich wieder, und sie sah Akiva ins Gesicht und sagte kühl das Wort: »Lebewohl.«
Es fühlte sich an, als wäre etwas zerrissen, der letzte Halt. Solange du am Leben bist, gibt es immer eine Chance. Eine Chance, worauf? , fragte sich Akiva, warf den Unsichtbarkeitszauber über sich und seine Schwester und zwang sich, hinaus in die Nacht zu fliegen. Die Chance, dass alles besser wird? Wie war das Gespräch weitergegangen, damals im Kriegslager?
Oder schlimmer. Das war es. Für gewöhnlich wird es schlimmer.
Apokalypse
Karou fühlte Akivas Abschied wie immer: als eine plötzliche Kälte. Seine Wärme war wie ein Geschenk – erst gab er es ihr, dann nahm er es ihr wieder weg, und sie stand da, den Rücken zum Fenster, kalt, einsam und aufgelöst. Und wütend. Es war eine kindische Karikatur von Wut – wenn Akiva ihr gegenübergestand, wollte sie auf ihn losgehen, mit den Fäusten auf seine Brust trommeln, sich dann gegen ihn fallen lassen und spüren, wie seine Arme sich um sie legten.
Als könnte er der sichere Ort sein, den sie seit jeher suchte und nie fand.
Karou atmete tief. Sie stellte sich vor, wie er sich immer weiter entfernte, und mit jedem Phantom-Flügelschlag schmerzte die Trennung mehr. Um ihr Schluchzen zurückzuhalten, schnappte sie nach Luft, und dann war Issa bei ihr und nahm sie in den Arm. Sei dein eigener sicherer Ort , sagte sie sich und richtete sich auf. Nichts auf der Welt konnte sie vor dem schützen, was vor ihr lag. Kein Balken vor der Tür, und auch nicht das winzige Messer in ihrem Stiefel – obwohl das winzige Messer wahrscheinlich trotzdem dort steckenbleiben würde – und schon gar kein Mann, nicht einmal Akiva. Sie musste selbst stark sein, vollständig.
Sei die, für die Brimstone dich hält , sagte sie sich und beschwor die Kraft tief in ihrem Inneren. Sei die, die all die begrabenen Seelen brauchen, und auch die lebenden.
»Süße«, sagte Issa. »Es ist in Ordnung, weißt du.«
»In Ordnung?« Karou starrte sie an. Welcher Teil? Die Drohung, dass womöglich Menschenwaffen nach Eretz gebracht wurden, oder die Drohung, die Seraphim hier zu haben? Die Katastrophe, die die Engel allein durch ihre Existenz über die menschliche Gesellschaft bringen konnten, ganz zu schweigen davon, dass
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