Days of Blood and Starlight
sich zum Gehen, hielt aber inne und drehte sich noch einmal zu Akiva um. »Jetzt, wo du ein gefeierter Held bist, sollte ich das wahrscheinlich nicht erwähnen, aber ich war dafür, dich zu töten. Damals. Hoffentlich nimmst du es mir nicht übel.«
Wann damals? Akiva musterte Jael mit durchdringendem Blick. Wann hatte sein Tod zur Diskussion gestanden?
Ormerod trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und murmelte etwas Unverständliches, aber weder Akiva noch Jael schenkten ihm Beachtung.
»Dein verdorbenes Blut, du weißt schon …«, erklärte Jael, als wäre das ganz offensichtlich. Also ging es wieder einmal um Akivas Mutter. Doch ihn ließ diese Stichelei genauso kalt wie Jaels Provokationsversuch mit dem neuen Krieg. Von seiner Mutter waren ihm nur wenige Erinnerungsfetzen geblieben und die höhnische Bemerkung des Imperators: schrecklich, was mit ihr passiert ist . Woher rührte Jaels plötzliches Interesse? »Mein Bruder war zuversichtlich, dass sein Blut sich als das stärkere herausstellen würde – Blut ist Stärke und so weiter –, und jetzt meint er natürlich, er hätte recht gehabt. Du hast seinen Test glorreich bestanden, und ich schätze, jetzt kann man kaum noch etwas gegen dich sagen. Wirklich schade. Es ist so ärgerlich, wenn man bei solchen Sachen falschliegt.«
Mit diesen Worten wandte Jael, Kommandant der Dominion und einer der mächtigsten Seraphim des Imperiums, sich ab, blieb gerade lange genug stehen, um Ormerod über die Schulter einen Befehl zuzurufen – »Lass eine Frau in mein Zelt schicken, ja?« –, und ging weiter.
Ormerod wurde bleich. Sein Mund öffnete sich, aber kein Ton kam heraus. Es war Akiva, der sich erhob. Plötzlich erinnerte er sich an Liraz’ Worte, an »all die anderen Mädchen«, von denen sie gesprochen hatte. Erst jetzt wurde ihm klar, dass seine Schwester eine Angst geäußert hatte. Nicht direkt; das war nicht ihre Art. Aber nun spürte er ihre Angst und auch die Angst »all der anderen Mädchen«. Und nicht nur Angst. Auch Wut. »Wir haben hier keine Frauen«, sagte er. »Nur Soldatinnen.«
Jael blieb stehen. Seufzte. »Na ja, auf einem Feldzug kann man wohl nicht wählerisch sein. Eine von denen wird genügen müssen.«
***
In der anderen Welt scharte der Weiße Wolf bei Einbruch der Dunkelheit seine Truppen um sich. Neun Teams zu je sechs Chimären, plus die Sphingen, die immer zu zweit blieben. Sechsundfünfzig Chimären. Als sie den Schmerztribut entrichtet hatte, waren es Karou so viele vorgekommen, aber als sie jetzt aus ihrem Fenster schaute und sich vorstellte, wie sie auf die ganze Macht der Dominion trafen, da wurde ihr bewusst, dass sie nichts waren. Sie erinnerte sich an in der Sonne blitzende Rüstungen, an feurige Engelsschwingen, und an den schrecklichen Anblick des in voller Stärke aufmarschierenden Feindes und fühlte sich wie betäubt. Was erhofften sie sich von diesem Feldzug? Es war reiner Selbstmord.
Die Chimärensoldaten erhoben sich als Geschwader in die Luft und flogen davon.
Ziri sah nicht zu ihrem Fenster auf.
Selbstmord
Es war kein Selbstmord.
Die Geschwader wandten sich nicht nach Süden, als sie das Portal durchquert hatten. Die sechsundfünfzig Soldaten flogen nicht zum Fernmassiv, um den Chimären zu helfen, die unruhig zum Blätterdach emporspähten, als die Sonne plötzlich von einem gewaltigen, finsteren Schatten verdeckt wurde. Was hätten sechsundfünfzig gegen eine solche Übermacht ausrichten können? Selbstmord lag wahrlich nicht in Thiagos Natur. Es wäre ein aussichtsloses Unterfangen, eine Verschwendung von Soldaten.
Und so sahen die Rebellen nicht, wie verzweifelt die Chimären rannten und fielen, rannten, fielen und sich wieder aufrappelten, wie sie ihre Babys umklammerten und die Alten und Kranken am Ellbogen weiterzogen. Sie sahen nicht das Leid ihres Volkes. Sie sahen nicht, wie die Chimären zu Hunderten starben, aus brennenden Wäldern getrieben, so nahe am Ziel, beinahe in Sicherheit . Und sie starben auch nicht, um sie zu verteidigen, denn sie waren nicht da.
Sie waren im Imperium und brachten Leid über die Engel.
»Wir haben zwei Vorteile«, hatte Thiago erklärt. »Erstens wissen sie immer noch nicht, wo wir sind – sie wissen ja nicht mal genau, wer oder was wir sind. Wir sind Geister. Und zweitens sind wir jetzt geflügelte Geister. Dank unserem neuen Wiedererwecker haben wir mehr Bewegungsspielraum als je zuvor und können viel größere Entfernungen zurücklegen. Sie erwarten
Weitere Kostenlose Bücher