Days of Blood and Starlight
Tinte vollgekritzelt und mit Unmengen von bunten Post-its beklebt, wirkte sie nicht sonderlich vertrauenerweckend. »Na, hier -hier. Vertraust du mir nicht?«
Er zögerte. »Natürlich vertraue ich dir. Ich weiß, wie viel Arbeit du in diese Reise reingesteckt hast, aber … das ist nicht gerade unser Fachgebiet.«
»Also bitte. Jetzt ist es mein Fachgebiet.« Nach ihrer ganzen Recherche würde sie jeden Test über Südmarokko mit Bestnote bestehen, und sie fand, dass sie für all ihre Bemühungen den Status eines Ehren-Nomaden verdient hätte. »Ich weiß, dass sie hier irgendwo ist. Da bin ich mir absolut sicher. Komm schon, ich weiß sogar, wie man einen Kompass benutzt. Wir haben Wasser. Wir haben Essen. Wir haben ein Handy …« Sie sah auf ihr Display. »… das hier keinen Empfang hat. Na ja. Wir haben Wasser. Wir haben Essen. Und wir haben ein paar Leuten gesagt, wo wir hinwollen. Mehr oder weniger deutlich. Also was ist da noch riskant?«
»Du meinst abgesehen von den Monstern?«
»Ach, Monster .« Zuzana winkte ab. »Du hast doch Karous Skizzenbücher gesehen. Das sind nette Monster.«
»Nette Monster«, wiederholte Mik und starrte in die sternenerhellte Wildnis hinaus.
Zuzana schlang die Arme um seine Taille. »Wir sind den ganzen weiten Weg gekommen«, erinnerte sie ihn. »Sieh es doch als eine deiner Prüfungen.«
Mik wurde hellhörig. »Eine der Märchen-Prüfungen?«
Sie nickte.
»Also gut. Dann sollten wir uns wohl besser auf den Weg machen.« Er setzte seinen Rucksack auf und hielt ihren hoch, während sie die Arme durch die Träger steckte.
Sie verließen die Straße, und die ganze Welt lag vor ihnen.
»Vielleicht hätte ich das schon früher fragen sollen, aber wie viele Prüfungen gibt es?«, erkundigte sich Mik.
»Immer drei. Jetzt komm. Von hier aus sind es noch ungefähr zwölf Meilen.« Sie schnitt eine Grimasse. »Bergauf.«
»Zwölf Meilen? Meine Süße, bist du je zwölf Meilen gelaufen?«
»Na klar«, nickte Zuzana. »Zwar nie am Stück, aber bestimmt insgesamt.«
Mik schüttelte lachend den Kopf. »Gut, dass du deine Plateauschuhe zu Hause gelassen hast.«
»Von wegen. Die sind in deinem Rucksack.«
»Meinem …?« Mik zuckte mit den Schultern, so dass sein Rucksack und der angehängte Geigenkasten auf und ab hüpften. »Deshalb ist er so schwer, ich hab mich schon gewundert.«
Zuzana setzte ihr unschuldigstes Gesicht auf. An den Füßen trug sie ihre Vorstellung von vernünftigem Schuhwerk: Es waren immerhin Sneaker, nur die Sohlen waren ein bisschen dicker, als unbedingt notwendig gewesen wäre, und sie waren schwarz-weiß gestreift wie ein Zebra. Sie nahm Miks Hand und zog ihn in die Wüste. Natürlich waren sie beide aufgeregt wegen ihres bevorstehenden Abenteuers, aber Zuzana schien vor Spannung regelrecht unter Strom zu stehen. Endlich würde sie ihre beste Freundin wiedersehen.
Ganz zu schweigen von der Sandburg.
Voller Monster.
Falsch
Eine weitere Nacht kroch über die Kasbah. Nie zogen die Sterne so langsam ihre Bahnen, wie wenn Leben in Gefahr waren.
Karou lenkte sich mit Arbeit ab und widmete sich mit neuer Dringlichkeit dem Erschaffen der Körper. Dabei versuchte sie, den Gedanken zu verdrängen, dass sie womöglich wieder ganz von vorn anfing, aber angesichts der düsteren Aussichten war das alles andere als leicht.
Vielleicht würde es Tage dauern, bevor sie irgendetwas hörten. Es war ein weiter Weg zum Fernmassiv – all die freien Bezirke und die unendliche Weite des südlichen Kontinents lagen zwischen hier und dort. Ohne Flügel hätten die Soldaten wochenlang über Land marschieren müssen, aber zum Glück gehörte Marschieren für sie endgültig der Vergangenheit an. Nur zu gut erinnerte Karou sich daran, wie sehr sie als Madrigal unter dem unerträglichen Tempo ihres Bataillons gelitten hatte. Aber mit Flügeln konnten die Patrouillen, je nachdem, was passierte, innerhalb weniger Tage zurück sein.
Oder nie.
Die Möglichkeit, dass überhaupt niemand zurückkommen würde, war sehr real, und das qualvolle Warten, Warten darauf, dass sie etwas erfuhr, ohne es je wirklich zu erfahren, war so alt wie der Krieg selbst, und es war die schrecklichste Art hinausgezögerten, elenden, allmählichen Begreifens, die sie sich vorstellen konnte.
So war sie mehr als ein wenig überrascht, als kurz nach der Morgendämmerung – zu früh – der Wächterruf erklang. Mit wenigen Schritten war sie aus dem Fenster, die Zahnkette, an der sie gerade
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