Days of Blood and Starlight
Vergeltung, hoffnungslos, hoffnungslos … – bevor Thiago sich plötzlich mitten im Satz unterbrach, den Kopf anhob und in die Luft schnupperte.
Und sich ihr zuwandte.
Karou stockte der Atem, als seine eisblauen, fast farblosen Augen sich direkt auf sie richteten. Erneut schnüffelte er in der Luft. Er konnte sie nicht sehen, das wusste sie, genauso wenig wie die anderen Soldaten, die seinem Blick folgten. Und trotzdem merkten sie auf die gleiche Weise wie der Wolf, dass sie in der Nähe war.
Wie hatte sie nur so dumm sein können? Sie waren Tiere. Sie konnten sie wittern .
Lust zu lächeln
Am Fluss entfernte sie die Schraubzwinge, streifte ihren Unsichtbarkeitszauber ab und sah zu, wie sie wieder auftauchte. Auf ihrem Handballen prangte ein neuer Bluterguss. Hatte es je etwas so Unwichtiges gegeben wie einen Bluterguss?
Würde Thiago erahnen, was sie getan hatte? Das Ganze war wirklich dumm von ihr gewesen. Wenn er dahinterkam, dass sie sich unsichtbar machen konnte, dann würde er wissen wollen, wie sie das anstellte. Er würde wollen, dass sie es seinen Soldaten beibrachte – und müsste Karou das nicht auch wollen, wo es ihnen doch helfen könnte?
Ihnen helfen, noch mehr Engel im Schlaf umzubringen?
Denn das war es, was Tangris und Bashees taten. Niemand wusste, wie genau sie das machten; sie konnten die Schatten um sich herum zusammenziehen und sich so ungesehen an ihre Feinde anschleichen, aber Unsichtbarkeit allein erklärte nicht die in perfekter Stille verübten Massenmorde. Wer schlief so fest, dass er nicht einmal ein Ächzen von sich gab, wenn ihm die Kehle aufgeschlitzt wurde? Und doch waren die Engel nicht aufgewacht, während ihre Kameraden starben, einer nach dem anderen, bis nur noch die Mörder lebten.
Karou wusste selbst nicht, was sie daran so sehr verstörte. Es war ein schmerzloser Tod. Und wie viele Chimären hatten die Seraphim erst umgebracht, und zwar sicherlich um einiges weniger gnädig.
Gnädig? Was für ein entsetzlicher Gedanke.
Während Karou mit sich selbst stritt, wünschte sie sich sehnlicher als je zuvor, mit jemandem über all das reden zu können. Über die Brutalität, an der sie beteiligt war … Die ganze Zeit hatte sie so getan, als wäre es nur ein schlechter Traum, weil sie es einfach nicht ertragen konnte.
Über den Krieg.
Ihr Leben als Karou hatte sie nicht ansatzweise auf all das vorbereitet. Krieg war etwas, was man nur in den Nachrichten sah, und die schaute sie sich nicht einmal an, weil ihr die Bilder zu grausam waren. Und wenn sie gedacht hatte, dass Madrigal ihr helfen könnte, dass ihr tieferes Ich es ihr erleichtern würde, diese hässliche Realität zu akzeptieren, dann hatte sie sich gründlich geirrt. Warum hatte Madrigal getan, was sie getan hatte? Warum hatte sie sich mit Akiva verschworen? Weil sie auf Frieden gehofft hatte, selbst als der Krieg ihr Leben war. Sie war schon immer eine Träumerin gewesen.
Und was in Eretz passierte … Durch die Angriffe der Rebellen war alles nur noch schlimmer geworden – viel, viel schlimmer. Sie hatten in ein Wespennest gestochen. Die verstümmelten Gesichter mit den grotesken Lächelfratzen, die aufgeschlitzten Kehlen, die Blutbotschaften. Was hatte Thiago sich dabei gedacht, das Imperium derartig zu provozieren? Und die Antwort des Imperators kam prompt und gewaltig, verheerend für die Chimären. Die ganze Macht der Dominion, ausgesandt, um Zivilisten zu vernichten …
Was hatte Thiago erwartet, was passieren würde? Was hatte sie selbst gedacht?
In Wahrheit hatte sie überhaupt nicht gedacht; sie hatte nicht wissen wollen, was die Soldaten in Eretz anrichteten, und jetzt war es zu spät.
Es geht mir ausgezeichnet. Es geht mir ausgezeichnet.
Karou zog die Schuhe aus und tauchte ihre Füße in das kühle Wasser. Thiago und die anderen suchten sicher bereits nach ihr, und sie war nicht schwer zu finden. Sie wartete an einer Stelle, wo jeder sie sehen konnte, und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis sie über sich Flügelschlagen hörte und ein Schatten auf sie fiel. Er war gehörnt, und einen Moment lang legte er sich über ihren eigenen Schatten, so dass es aussah, als gehörten die Hörner zu ihr.
Ziri.
Ziri war in seiner Patrouille derjenige, der das »Lächeln« einschnitt. Seine Mondsichelklingen – genau wie ihre eigenen – eigneten sich bestens dafür; er musste nur die Spitzen in die Mundwinkel der Leichen schieben und einmal kräftig ziehen. Das ist also aus meinem kleinen
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