Dead: Band 1 - Roman (German Edition)
Landschaft hellgrün und praktisch unberührt.
Das Fahrzeug biegt an einer Ausfahrt plötzlich ab, fährt an einem verlassenen Militärkontrollpunkt vorbei und gelangt auf eine von der Sonne beschienene zweispurige Landstraße. Sie passieren Telefonmasten, die in regelmäßigen Abständen aus dem Boden ragen, und sichten dann und wann Briefkästen, Tempo-70-Schilder und Schulbushaltestellen. Rechts der Straße erheben sich mit Ahorn, Buche und Hornstrauch bewachsene Hügel. In der Ferne marschieren dunkle Gestalten allein oder grüppchenweise über grüne Felder. Die Luft ist feucht und sauber und voller Vogelgesang und Insektengebrumm.
Nach mehreren Kilometern verlangsamt der Bradley, passiert ein Schild, das die » Buchanan Evergreen Farm « ankündigt, und dann ein weiteres, auf dem » Weihnachtsbäume « steht. Dann biegt er auf einen langen Kiesweg ab, beschleunigt auf ein fernes Farmhaus zu und erzeugt eine ordentliche Staubwolke. Im Wohnzimmer finden die Überlebenden die auf dem Boden liegenden vertrockneten Leichen einer großen Familie, die sich lächelnd und mit blauen Gesichtern umarmen und von leeren Pillenröhrchen umgeben sind. Sie räumen die Leichen weg und verbrennen sie hinter dem Haus, während sie sich den Ruß aus der Lunge husten und die Vegetation und den trägen Gesang der Vögel bestaunen. Anne möchte mehr Kilometer zwischen sie und Pittsburgh bringen, doch Sarge erklärt, dass sie über Nacht hierbleiben werden. Paul betrachtet die frischen Gräber und die Familienfotos an der Wand, die Generationen abbilden, denen dieses Land vor der Seuche gehört hat, und glaubt, dass die alte Welt langsam zum Geisterreich wird. Vielleicht sind wir schon Geister und wissen nur nicht, dass wir tot sind, denkt er. Der Überlebenskampf ist wie ein seltsames Fegefeuer zwischen Leben und Tod. Anne händigt Ethan die Brille aus, die sie im Krankenhaus an sich genommen und ihm zurückzugeben vergessen hat. Ein frisches T-Shirt bekommt er außerdem. Sie sagt nichts, doch Ethan, von Schmerzmitteln betäubt, weiß, dass er wieder akzeptiert wird. Während Anne den Bradley auslädt, sucht er vergeblich nach dem Rucksack mit seinen eigenen Familienfotos. Und ihm wird klar, dass es nun praktisch nichts mehr gibt, was beweist, dass seine Familie je existiert hat. Wie die anderen ist auch er nun heimatlos. Außerhalb seines unzuverlässigen Gedächtnisses existiert nun nichts mehr, das sein früheres Leben beweist. Todd schaut den anderen mit lächelnder Miene zu, wie sie sich in der Sicherheit bewegen, hält sich mit spitzfindigen Bemerkungen zurück und wartet ab. Wendy reinigt ihre Glock und tauscht einen langen Blick mit Sarge aus, bevor sie nach oben geht, um sich in der antiken Badewanne zu waschen. Die Soldaten befestigen das Haus und nehmen dann seufzend auf Schaukelstühlen im Wohnzimmer Platz, während die anderen den Ofen anmachen, Kaffee kochen, schweigend trinken und sich zum ersten Mal seit dem Verlassen des Krankenhauses sicher fühlen.
Die Uhr im Wohnzimmer schlägt die Stunde.
Anne berichtet von dem Flüchtlingslager.
Die Soldaten, die sie auf dem Highway gefunden hat, waren vom Katastrophenschutz. Sie kamen aus einem Feldlager. Sie hat mit dem Funkgerät im Humvee mit einem Offizier dieses Lagers gesprochen. Es ist nur ein paar Fahrstunden entfernt, in Ohio, an einem Ort namens Cashtown.
Eine Zuflucht. Ein Ort, an dem man sich endlich ausruhen kann. Das einzig Wahre: Ein Ort, an dem man endlich und wahrhaftig sicher sein kann.
Die Überlebenden schauen Anne blinzelnd an. Sie wissen nicht genau, wie sie auf diese Nachricht reagieren sollen. Nach allem, was geschehen ist, sind sie einfach nur froh, am Leben, sauber und satt in diesem Haus zu sein. Die Vorstellung, ihre Reise könnte endlich zu Ende gehen, muss erst einmal verdaut werden.
Nach langem Schweigen sagt Paul: » Tja, Amen. «
Die anderen Überlebenden lachen und wiederholen seinen Ausspruch.
Die Nacht vergeht ohne Albträume.
Am nächsten Morgen ist Anne weg.
RÜCKBLENDE: ANNE LEARY
» Das ist ja unerhört « , sagte sie in den Telefonhörer, der zwischen ihrer Wange und ihrer Schulter klemmte, während sie einen Teigklumpen mit dem Nudelholz ausrollte. » Hast du die Polizei angerufen? «
Anne hatte dafür gekämpft, den Park mit neuen Spielgeräten auszustatten. Wenn sie in ihrem Leben eins gelernt hatte, dann dies: Spielgeräte waren nicht billig, sondern irrsinnig teuer. Aber sie hatte beinhart verhandelt – es fiel den
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