Dead: Band 1 - Roman (German Edition)
raus! «
Anne blieb schwitzend und keuchend stehen. Ihre Schuhe waren verdreckt, ihre Hosen zerkratzt und eingerissen. Die Sonne hing niedrig am Himmel. Das Geheul der letzten Sirenen erstarb. Anne hatte das Gefühl, dass irgendwo eine gewaltige, für sie nicht sichtbare, Schlacht geschlagen und verloren worden war. Das Knallen war nun überall zu hören.
» Ich möchte meinen Mann wiederhaben « , sagte sie hektisch und spuckte aus.
Ein grauenhaftes Gefühl überkam sie, schoss durch sie hindurch wie ein Brechreiz, und sie fiel auf die Knie.
» Oh, nein « , sagte sie und hielt sich die Hände vor den Mund. » Oh, nein nein nein nein nein nein nein. «
Anne stand wankend wieder auf, lief so schnell sie konnte und fragte sich, ob sie zu spät kommen würde. Schließlich erreichte sie Trudys Tür und rang nach Atem.
» Bitte « , sagte sie und klopfte an die Tür. » Lieber Gott, bitte. «
Niemand kam, um die Tür zu öffnen.
Anne lief zum Panoramafenster und versuchte, ins Innere des Hauses zu blicken, doch die feinen Gardinen behinderten ihre Sicht. Da lief ein Fernseher. Er leuchtete im dunklen Inneren des Raumes. Sie klopfte an die Scheibe, bis ihre Hand so wehtat, dass sie aufhören musste. Anne überlegte kurz, ob sie die Scheibe einschlagen sollte und wie man es am besten bewerkstelligte. Doch dann umrundete sie schnell das Haus. Am liebsten hätte sie laut losgeschrien. Sie wusste, dass sie gleich die Beherrschung verlieren würde.
Wenn jemand meinen Kindern auch nur ein Haar gekrümmt hat …
Anne konnte es nicht ertragen, den Gedanken zu beenden. Sie konnte die Vorstellung nicht ertragen, jemand könnte ihnen etwas getan haben.
» Bitte, lieber Gott « , keuchte sie. » Bitte, lieber Gott, bitte … «
Die Glasschiebetür stand offen. Die Moskitotür war zu, der Draht abgerissen.
Der Geruch von saurer Milch wehte ihr aus dem Haus entgegen.
» Bitte « , flüsterte sie und trat ein.
Das Wohnzimmer war dunkel. Der Fernseher lief zwar, zeigte aber nur ein Testbild und gab das laute Klingeln des Notsendesignals ab.
» Trudy? Trudy, bist du da? «
Niemand antwortete. Anne lief durch den Raum in die Küche. Auf dem Tisch standen drei kleine Gläser. In einem befand sich noch ein Rest Milch.
» Trudy, wo sind meine Kinder? «
Im Schlafzimmer befand sich ein ungemachtes Bett. Der saure Geruch, der dort herrschte, war so intensiv, dass Anne würgen musste. Er schob sie mit beinahe körperlicher Kraft aus dem Zimmer.
» Trudy, ich bin’s, Anne! «
Sämtliche Räume waren leer. Offenbar war niemand zu Hause. Wohin hatte Trudy die Kinder gebracht? Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Sie musste die Kinder finden und in Sicherheit bringen, bis Big Tom nach Hause kam.
Anne kehrte ins Wohnzimmer zurück. Das Notsendesignal ging ihr so furchtbar auf die Nerven, dass sie den Fernseher ausschaltete.
Oh, mein Gott…
» Nein « , sagte sie. » Nein, nein, nein, nein … «
Sie schüttelte sich, beugte sich vor und übergab sich im hohen Bogen auf den Teppich.
Nach minutenlangem Würgen gelang es Anne endlich, wieder Luft zu schnappen. Und sie sah das Offensichtliche, das sie bisher nicht bemerkt hatte.
Die Leichen lagen vor dem Kamin aufgereiht. Trudy war mit einem eigenartigen Lächeln auf den Lippen gestorben; ihr Genick war eindeutig gebrochen. Peter, Alice und Klein-Tom lagen ihr zu Füßen.
Jemand hatte sie zerfleischt. Hatte Stücke aus ihnen herausgerissen. Überall war Blut.
Sie hatten sich an Trudy geklammert, um Schutz zu suchen. Sie hatten gewollt, dass Trudy sie beschützte, weil ihre Mutter und ihr Vater nicht da waren.
Nein, sagte Anne sich. Peter hielt noch den Schürhaken vom Kamin in der Hand. Sie haben Trudy beschützt. Das sind meine Kinder. Es ist typisch für sie. Sie riskieren ihr Leben, um anderen zu helfen. Wie tapfer. Wie tapfer mein großer Junge doch war. Mein braver Peter. Genau wie sein Papa.
Anne schrie auf und krallte die Fingernägel in ihr Gesicht, bis sie ohnmächtig wurde.
Als sie zu sich kam, schlenderte sie die Straße entlang und hustete wegen des Rauchs. Paul Liao rief ihr aus der Einfahrt zu seinem Haus etwas zu, während seine Frau die Kinder in einen überladenen Kombiwagen schob. Gegenüber lag ein Toter auf dem Gehsteig – am Ende einer langen Blutspur. Irgendwo in der Ferne schrie jemand. Jemand ganz in der Nähe schoss und zerschmetterte ein Fenster.
Ein Van tauchte auf und hielt an. Die Türen gingen auf.
» Ich hab sie « , sagte jemand. » Gib
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