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Dead Beautiful - Deine Seele in mir

Dead Beautiful - Deine Seele in mir

Titel: Dead Beautiful - Deine Seele in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Y Woon
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die Statuen, den Brunnen. Ich kämpfte mich durch ein steifes Festtagsessen mit meinem Großvater. Dustin stand in derEcke, während ich an meinem Schinken zupfte. Nach überstandener erster Halbzeit hielt ich es nicht mehr aus.
    »Warum setzen Sie sich nicht zu uns?«
    Dustin, überrumpelt von der ungewohnten Anrede, wusste nicht, wie er reagieren sollte. »Ich … äh … danke sehr, Miss Winters, aber ich habe schon gegessen.«
    »Das können Sie doch gar nicht. Ich habe gesehen, wie Sie vor dem Essen das Silber poliert und den Tisch gedeckt haben.«
    Dustin sah schwer verlegen aus. »Danke, Miss Winters, aber ich stehe gerne hier.«
    Ich konnte es nicht fassen. »Das sieht aber unbequem aus. Wie kann man es aushalten, so lange zu stehen?«
    Dustins Blick suchte den meines Großvaters. Der hüstelte und stellte das Kauen ein.
    »Aber natürlich, Dustin«, gab er sich einen Ruck. »Wie töricht von mir. Dustin, bitte setzen Sie sich. Wir haben mehr als genug für drei.«
    Ich starrte auf die überquellenden Servierplatten, auf denen sich Schinken, Pökelfleisch und Süßkartoffeln türmten, und erhob mich, um Dustin den Stuhl neben mir herauszuziehen. »Sie können eine von meinen Gabeln haben. Ich hab eh viel zu viele.«
    Und so ließ sich Dustin nieder, wahrscheinlich zum ersten Mal.
    Nach dem Essen half ich ihm beim Abräumen. Dann wuschen wir gemeinsam ab und ließen ein Glas Milch und zwei Kekse neben dem Baum stehen. Mein Großvater zog sich in den Rauchsalon zurück. »Frohe Weihnachten, Renée«, sagte er und drückte meine Schulter. Er setzte sichdie Brille auf. »Wenn du etwas brauchst, findest du mich unten.«
    Kurz vor Mitternacht schlich ich mich im Schlafanzug meiner Mutter die Treppe hinunter. Die Gingham-Bibliothek lag nur wenige Zimmer vom Rauchsalon entfernt, zwischen dem Spielzimmer und dem Roten Salon. Auch wenn es irgendwie blöd wirkte – die Vorstellung, dass Dante in der Coplestone-Bibliothek an mich denken würde, während ich in der Bibliothek meines Großvaters war, half mir, kurz meine Eltern zu vergessen. Im Haus war es dunkel und still, nur der Christbaum glitzerte im Vorzimmer. Als ich auf Zehenspitzen den Flur entlanghuschte, sah ich durch die Fenster, wie draußen im Mondlicht der Schnee fiel. Porträts von Männern in Dreispitz und samtenen Halsbinden säumten die Wände und ihre Augen schienen mir zu folgen.
    Plötzlich hörte ich Schritte. Im Arbeitszimmer meines Großvaters war noch Licht; es schien unter der Türritze durch. Auch wenn ich nicht in der Schule war, wollte ich doch nicht nachts beim Herumgeistern erwischt werden. Als sich der Türknauf drehte, rannte ich los, schlitterte mit meinen Socken um die Ecken und fand mich schließlich in der Küche wieder.
    Ich beschloss, mir ein Glas Milch zu holen, wenn ich schon mal da war. Auf der Suche nach einer Tasse öffnete ich die Oberschränke. Die Küche glitzerte in der Dunkelheit: Die lange marmorne Arbeitsplatte reflektierte das Mondlicht ebenso wie die hängenden Töpfe, Pfannen und die Messer, die an der Magnetwand klebten. Ich war hier noch nie alleine gewesen; sonst war immer geradedas Küchenpersonal dabei, etwas zuzubereiten oder zu putzen.
    Schließlich öffnete ich die Tür eines deckenhohen Einbauschranks mit einem riesigen Geschirrkarussell. An der Rückwand entdeckte ich eine Reihe von Tassen, die an Haken baumelten. Ich beugte mich vor und griff danach, aber sie waren einfach zu weit weg. Also trat ich hinein und pflückte mir eine Tasse vom Haken. Unten in der Eingangshalle schlug die Standuhr Mitternacht. Das Drehkreuz zitterte plötzlich und setzte sich in Gang, und ich klammerte mich an den Haken fest, während es rotierte. Und auf einmal fand ich mich auf der anderen Seite der Mauer wieder.
    Ein merkwürdiger Raum voll warmer, schaler Luft begrüßte mich. Er war groß, mit schrägen Decken und schmalen Fenstern, die das Mondlicht an der Wand brachen und dem Zimmer die trübe Atmosphäre eines Speichers verliehen. Ein Wohnzimmer, dachte ich. Eines, das ich vorher noch nie gesehen hatte. Eines, das merkwürdige Ähnlichkeit mit dem Zweiten Wohnzimmer hatte. Ich dachte zurück an die Besichtigungstour mit Dustin an meinem ersten Tag. Es gibt kein Erstes Wohnzimmer, hatte er mir damals gesagt. Aber das stimmte nicht, denn genau darin stand ich.
    Türen gab es keine. Eine Treppe, die in eine Ecke gehauen war, führte hinauf ins Obergeschoss. Ich ging umher und musterte die ausgestopften Tiere an der Wand: ein

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