Dead Beautiful - Deine Seele in mir
ich.
Ich stellte mir vor, wie seine dunklen, nachdenklichen Augen in meine blickten. »Hallo«, antwortete er gedämpft. »Und, was hab ich verpasst?«
Ich erzählte ihm von meinem Großvater, von unseremGespräch beim Essen, und dass meine Eltern Wächter gewesen waren, und dann von der langen Tafel, dem Elchkopf und der kalten Suppe, über die ich mir immer noch keine Meinung bilden konnte.
Dante lachte. »Keine kalte Suppe, kein Ziegenkäse. Werd ich mir merken. Und kein Gottfried-Fluch.«
»Und für dich überhaupt kein Essen. Keinen Schlaf. Und keine Tunnel.«
»Ich bin praktisch wartungsfrei.«
»Das bist du also? Ich hab schon das ganze Semester versucht, das rauszukriegen.«
»Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen?«
»Ein Mutant. Eine seltene Krankheit. Eine Ausgeburt der Hölle. Dante. «
»Und wenn du rausfinden würdest, dass das stimmt?«, fragte er. »Was, wenn das bedeutet, dass ich dich verletzen kann?«
»Dann würde ich sagen, dass ich keine Angst habe. Jeder hat die Fähigkeit, anderen wehzutun. Es zählt nur die Entscheidung.«
Wir telefonierten jeden Abend. Mein Großvater kam und ging zu Geschäftstreffen, da er zahlreiche Unternehmen, Hilfsorganisationen und so weiter finanziell unterstützte. Also verbrachte ich die meiste Zeit allein und erforschte das Haus und seine Ländereien. Nachdem ich seine ganze Bibliothek nach Informationen über das Gottfried oder ihn selbst oder den Fluch durchpflügt und nichts gefunden hatte, konzentrierte ich mich auf die verschneiten Wälder von Massachusetts. In hohen Stiefeln stapfte ich herumund stellte mir vor, wie meine Mutter in meinem Alter das Gleiche getan hatte, die Wangen rosig, die Lippen aufgeplatzt, die Nase triefend von der Kälte.
Und obwohl ich mich jeden Morgen aufs Neue stählte für den unvermeidlichen Abend, an dem Dante nicht anrufen würde, kam dieser nie. Wir unterhielten uns stundenlang, Wellen und Ströme trugen unsere Stimmen hin und her und die Entfernung band uns irgendwie noch fester aneinander.
Nach meinen Gesprächen mit Dante ging ich immer wieder die Besitztümer meiner Mutter durch, nahm Gegenstände in die Hand und setzte sie vorsichtig wieder ab – aus Angst, etwas zu lange festzuhalten. Ich fand eine Menge Katzenbücher, eine Nähmaschine mit einer Schachtel Spulen und ein Foto von meinen Eltern, als sie sich gerade kennengelernt hatten. Sie sahen nur wenig älter aus als ich und saßen unter einem riesigen Baum im Gras, lächelnd ineinander versunken. Das war mein erstes Weihnachen ohne meine Eltern, und sie fehlten mir so sehr, dass ich es kaum ertragen konnte.
»Nichts ist wie früher«, erklärte ich Dante. »Ich vermisse es, mit meinem Vater den Baum zu fällen und ihn dann nicht in den Kombi reinzukriegen. Kakao zu trinken und nervtötende Weihnachtslieder zu hören, wenn wir zusammen den Baum schmücken. Wie mein Vater immer noch Milch und Kekse für den Weihnachtsmann an den Kamin gestellt hat, als ich schon längst ein Teenager war. Hier ist der Baum viel zu perfekt. Noch nicht mal ein kleines bisschen krumm ist er. Völlig unnatürlich.«
»Unnatürlich?« Dantes Stimme war leise.
»Ich glaub, der hier nadelt noch nicht mal. Was soll das bitte für ein Baum sein?«
»Tannenbäume sollen gar nicht absterben, heißt es doch.«
»Alles stirbt mal.« Sofort jagten mir meine Eltern durch den Kopf. »Manchmal zu früh.«
Eine lange Stille folgte. Schließlich sagte Dante: »Es wird besser werden, Renée. Wünsch dir nicht dein Leben fort, nur weil deine Eltern ihres verloren haben.«
Ich seufzte. »Ich wünschte, du wärst hier.«
»Ich krieg dich schon das ganze restliche Schuljahr zu sehen. Es ist nur fair, wenn ich deinem Großvater auch ein, zwei Wochen abtrete.«
»Und ich hab da kein Wörtchen mitzureden?«
»Davor fürchte ich mich. Dass du eines Morgens deinen Verstand zurückbekommst und kapierst, dass ein Mädchen wie du niemals mit jemandem wie mir zusammen sein würde.«
Verständnislos schüttelte ich den Kopf. »Das würd ich niemals denken. Du hast mir geholfen, in Latein durchzukommen. Du hast mich vor Gideon und Vivian und der Rektorin beschützt. Und du hast Eleanor gefunden. Keiner, den ich jemals kennengelernt habe, ist so wie du. Für was für eine Art von Mädchen hältst du mich eigentlich, dass ich nicht mit dir zusammen sein wollte?«
»Für ein unwirkliches.«
Mit Heiligabend kam ein Schneesturm. Der Schnee türmte sich vor den Fenstern, begrub die Laternenpfähle,
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