Dead Beautiful - Deine Seele in mir
in ihrer traurigen Unfehigkeit, zwischen Lebenden und Untodten zu unterscheyden.Mein Schluß ist, daß die Menschheit dazu verdammet sein muß, gantz in die Handt dieser unverwundbaren, seelenloosen Creaturen zu gelangen.
Basium mortis. Die Todesursache aus Benjamins Akte. War er gestorben, weil jemand seine Seele genommen hatte? Ich blätterte um. Die Bilder waren verstörend. Sie zeigten Kinder, die anderen Kindern die Seele aussaugten, mit hungrigen, tierischen Gesichtern, wie von einer animalischen Gier getrieben. Doch merkwürdigerweise sah es auch aus, als ob sie sich küssen würden. Wie ein Schlag traf mich die Erkenntnis – ich fuhr hoch; mein Atem stockte. Küssen. Dante weigerte sich, mich auf die Lippen zu küssen. Das war der Grund. Ein Kuss konnte mich töten.
IV. Von denen Begräbnuß-Sitten
Die alten Völcker fanden einen Weg, die Verwandlung der Kinder in Untodte zu hindern. Vor dieser Zeit bestanden noch keine Begräbnuß-Sitten. Die Todten wurden der Natur überlaßen, das Schicksal einer jeden irdischen Creatur. Die Egypter entdeckten als Erste, daß die Kinder nicht wieder auferstanden, so man sie einbalsamirte und in Pyramiden begrub.
Hernach fanden die Völcker der Menschen herauß, daß es eben Dreierley ist, dem die Untodten nicht widerstehen können, ohne zu verfallen: das Feuer; das Goldne Maaß-Verhältnuß der Geometria; und das Begraben. Seitdem haben alle Völcker eine neue Weis gefunden, der Untodten Wiederkehr zu hindern: durch das Feuer, das ist: mit Scheitterhauffen oder mit derCremation; durch Goldnes Verhältnuß, das ist: durch Särge und Pyramiden; durch das Begraben, das ist: mit Begräbnußen und Catacomben. Ein jeder dieser Bräuche dienet aber einzig einem Zwek, nämlich, daß unsere Kinder ruhen mögen.
Mit der Zeit und den Wanderungen der Völcker aber wurden diese Sitten in den Menschen so tief verwurtzelt, daß kein Einziger unter ihnen mehr hätte angeben können, warumb sie gehalten. Baldt ließ man alle ohne Außnahm, auch die Großjährigen, verbrennen oder begraben, und daß Kinder gar von den Todten auferstehn können , ward vollständig vergeßen.
Die Worte verschwammen mir vor den Augen und mit zitternder Hand wischte ich mir die Tränen ab. Ich sah Dante vor mir, wie er tot auf einem Feld lag; die Bilder überfluteten meinen Kopf und ich konnte mich nicht von ihnen losreißen. Um die Begräbnisriten zu illustrieren, hatte Descartes Schaubilder aller Varianten angefertigt, in denen die einzelnen Schritte dargestellt waren. Eines zeigte einen sechseckigen Sarg, zu dem angemerkt wurde, dass er aus hartem Holz gebaut, zugenagelt und mindestens sechs Fuß tief begraben werden müsse. Das also war der Grund, weshalb Dante nicht unter die Erdoberfläche gehen konnte: Es war gar kein richtiges Kindheitstrauma, obwohl ihn sein Tod sicher traumatisiert hatte. Er ging nicht unter die Erde, weil er es einfach nicht konnte – weil er sonst endgültig sterben würde.
Ich überflog die nächsten Seiten, besah mir die Skizzen und die Regeln für Pyramiden, für Mumifizierung und Einbalsamierung. Die Seitenränder waren voll mit Anmerkungenüber den richtigen Mullstoff, über die Anzahl der Schichten, die um die Mumie gewickelt werden mussten, und über den Aufbau des Labyrinths in den Pyramiden und ihre geometrische Ausrichtung. Das alles kannte ich aus dem Geschichtsunterricht, da Professor Bliss ganz versessen auf Mumien war. Nur über ihren Zweck hatte ich mir nie Gedanken gemacht.
Der nächste Holzschnitt zeigte einen Leichnam auf einem Scheiterhaufen, mit Münzen auf den Augen. Der Gebrauch von Münzen, so Descartes, gehe auf die Griechen zurück. Man gab sie den Toten mit, damit sie den Fährmann auf dem Fluss Styx für die Überfahrt in den Hades bezahlen konnten. Darunter war die Illustration eines Kindes, dessen Mund mit Stoff ausgestopft war. Ich konnte kaum fassen, was ich da sah. Meine Eltern konnten nicht untot gewesen sein – sie waren erwachsen. Warum sollten sie auf diese Art umgekommen sein? Und was hatte ihr Tod mit dem hier zu tun?
V. Von der lateinischen Sprache und ihrem Absterben
Das Lateinische ist die Sprache der Untodten. In uhralten Zeiten, bevor das Römische Reich entstand, bevor die Menschen die Begräbnuß-Sitten entdeckten, wurde Latein nur von Kindern gesprochen. Es war die einzige Weise, die Untodten von denen Lebendigen zu unterscheyden.
Nach der römischen Mythologia, oder Fabeln derer alten Römer, wurde die Stadt Rom von zwey
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