Dead Beautiful - Deine Seele in mir
Empfindungen mehr haben. Sie können sehen und hören, aber sie verbinden damit keine Schönheit, keine Traurigkeit, kein Erstaunen.«
»Bist du dir da sicher?« Dante hatte definitiv Empfindungen, wenn er mit mir zusammen war. Das hatte er mir in der Nacht nach dem Wandertag gesagt, damals in seinem Zimmer.
»Hundertprozentig. Das ist eines der Hauptmerkmale der Untoten.«
»Auch wenn sie in der Nähe eines lebendigen Menschen sind?«
»Ja, auch wenn sie in der Nähe eines lebendigen Menschen sind.«
Ich zögerte. »Also kann jeder zum Untoten werden?«
»Nur Leute, die vor ihrem einundzwanzigsten Geburtstag sterben. Du zum Beispiel würdest untot werden, wenn du sterben und weder begraben noch verbrannt noch mumifiziert würdest.«
»Und dann würde ein anderer meine Seele bekommen?«
»Ja. Ein Kind, das am selben Tag geboren wird, an dem du stirbst.«
»Und dann wäre ich einundzwanzig Jahre lang seelenlos, bis ich wieder sterbe?«
»Wenn man dich nicht begräbt, ja. Obwohl du dir der Sage nach deine Seele zurückholen könntest, wenn du den Menschen triffst, der sie in sich trägt – durch das Basium Mortis, das Zurücksaugen der Seele in deinen Körper. Dann wärst du wieder menschlich und hättest deine normale Lebenserwartung.«
Ich stellte mir vor, wie Dante seine Seele von einem Kindzurückholte, aber schüttelte den Gedanken rasch ab. »Warum ist das eine Sage?«
»Weil das eine praktisch unmögliche Aufgabe ist, seine Seele zu finden. Stell dir die Wahrscheinlichkeit vor – bei der Zahl der Menschen, die täglich auf der ganzen Welt geboren werden und sterben. Es gibt nicht einen einzigen dokumentierten Fall eines Untoten, der seine Seele gefunden und zurückgeholt hätte. Das ist der große Mythos, der sich quer durch die Geschichte zieht. Dass man den Tod überlisten kann.«
»Warum glauben die Leute dann, dass es möglich ist?«
»Weil es den Untoten jedenfalls möglich ist, Seelen zu nehmen, die ihnen nicht gehören. Es verlangsamt ihren Verfall und gibt ihnen noch ein paar Jahre ›Leben‹, bevor es mit ihnen wirklich zu Ende geht.«
»Und der Mensch, der seine Seele verliert, stirbt?«
Mein Großvater nickte. »Oder, wenn er nicht entdeckt wird und jünger ist als einundzwanzig Jahre, wird er ebenfalls untot.«
»Aber kann er sich dann nicht einfach seine Seele von dem Untoten wieder zurückholen, der sie ihm genommen hat?«
»Nein, denn eine geraubte Seele wird nicht im Körper des Untoten verbleiben, der das Basium Mortis begangen hat – außer es handelt sich wirklich um die ursprüngliche Seele des Untoten. Sonst wird sie den Untoten bald verlassen und von Neuem geboren werden.«
Dustin brachte eine Platte mit gekochten Eiern und kanadischem Schinken.
»Dann ist das Gottfried-Institut eine … eine Schule für Zombies?«
»Für Untote«, verbesserte mich mein Großvater. »Und nein, das ist es keineswegs. Jedenfalls nicht ausschließlich. Obwohl das früher einmal der Fall war.«
Ich wartete darauf, dass er fortfuhr. Er räusperte sich. »Ursprünglich wurde die Schule gegründet, um die Untoten über ihren Zustand zu belehren. Wie du wohl weißt, war Bertrand Gottfried ein Arzt, der die Schule als Krankenhaus für Kinder ins Leben gerufen hatte. Was die meisten nicht wissen, ist, dass es sich um ein Krankenhaus für tote Kinder handelte.
Er hatte schon Jahre vor der Gründung des Spitals von der Existenz der Untoten erfahren. Sein Ziel war es, ein Krankenhaus zu gründen, das untote Kinder aufnahm, sodass er sie dort untersuchen, studieren konnte. Er wollte herausfinden, inwiefern sich die kindlichen Körper von den erwachsenen unterscheiden, da ja nur die Kinder wiederauferstehen. Attica Falls bot ideale Bedingungen – nicht nur wegen der Abgeschiedenheit, sondern auch wegen der Höhe und des Klimas. Im Alter von einundzwanzig ›untoten Jahren‹, wie sie auch genannt werden, beginnen die Kinder rasch zu verfallen. Niedrige Temperaturen können diesen Prozess bremsen, ähnlich der Wirkung eines Kühlschranks. Der letzte Grund war der See. Salz wirkt als Konservierungsmittel; ein Morgenbad im See war für jeden Patienten vorgeschrieben.
Wie du vielleicht weißt, wurde kurz nach der Gründung der Ausbruch einer Masern- und Mumpsepidemie gemeldet, der über einhundert Kinder zum Opfer fielen. Natürlich war es keine Krankheit, die das Sterben verursachte. Für viele von Bertrands Patienten war während genau dieserzwei Jahre einfach ohnehin die Zeit abgelaufen. Und
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