Dead Beautiful - Deine Seele in mir
obwohl Bertrand viele Verfahren entwickelt hatte, das ›Leben‹ der Untoten zu verlängern – einen Weg, den Verfall ganz aufzuhalten, hatte er nie gefunden. Alle gingen zugrunde. Die meisten der Kinder hatten weder Eltern noch sonstige Familie und so gab es keine weiteren Nachforschungen.« Mein Großvater hielt seine Kaffeetasse hoch und Dustin trat heran, um Zucker hineinzulöffeln.
»Als all diese Kinder starben, wusste Bertrand nicht, wohin mit den Leichen. Statt sie einzeln beizusetzen, hob er eine riesige unterirdische Gruft aus. Zudem dienten diese Katakomben einem weiteren Zweck: Wenn Bertrand an einen Untoten kam, den er zur Ruhe bringen wollte, dann konnte er ihn dort begraben.
Unglücklicherweise überlebte Bertrand die Eröffnung seines Krankenhauses nicht allzu lange. Man fand ihn im See. Freilich war es kein natürlicher Tod. Einer seiner Patienten hatte ihm die Seele genommen.
Nachdem er gestorben war, schlossen die drei an der Gründung beteiligten Krankenschwestern das Spital und behielten nur die aktuellen Patienten bei sich. Während dieser Zeit durchsuchten sie sein Büro und entdeckten Hunderte Seiten mit Notizen und ein Tagebuch, in dem er seine Erkenntnisse festgehalten hatte. Seine Schriften wurden die Grundlage zu unserem Verständnis von den Untoten und wie es in ihnen aussieht. Er hatte auch Pläne entwickelt, um das Krankenhaus in eine Schule für die Untoten umzuwandeln. Die Schwestern setzten seinen Wunsch um und eröffneten die Schule als das Gottfried-Institut. Die Schule sollte die Untoten lehren, ihr ›Leben‹ zu führen,ohne nach ihrer Seele zu suchen oder die Seele anderer zu nehmen.
Zuerst war es eine reine Schule für Untote. Die Schwestern versuchten, sie zu unterrichten, nicht nur in weltlichen Angelegenheiten, sondern auch in den Dingen, die ihre Situation betrafen. Viele untote Kinder waren sich gar nicht bewusst, dass sie tot waren. Deshalb litten sie unter Existenzkrisen.«
»Was meinst du mit Existenzkrisen ?«
»Stell dir einmal vor, du wachst eines Morgens auf und alles ist gleich, nur anders. Du magst nicht mehr essen. Du schläfst nicht mehr. Du kannst nicht mehr hören oder sehen oder riechen, wie du es früher getan hast. In dir fühlst du nur eine immerwährende Leere.«
»So hab ich mich gefühlt, als meine Eltern gestorben sind«, sagte ich leise.
Mein Großvater nickte. »Existenzkrisen macht jeder durch. Bei den Menschen ist es eher eine psychologische als eine biologische Angelegenheit. Das ist der eigentliche Gottfried-Fluch, das Schicksal, dem die Untoten entgegensehen. Wenn ihnen nicht bewusst ist, was mit ihnen geschieht, können sie sehr gefährlich sein. Stell dir vor, ein untotes Mädchen versucht, einen Jungen zu küssen. Sie würde aus Versehen seine Seele nehmen und ihn töten.«
Darum hat mich Dante nicht geküsst, dachte ich.
»Durch die allmählichen medizinischen und technischen Fortschritte wurden die Untoten mit der Zeit immer seltener, da die Kindersterblichkeit sank und die, die doch starben, begraben wurden. Langsam fing man an, lebendige Kinder in die Schülerschaft zu integrieren. Das Gottfriedbrauchte Geld und mit der Aufnahme von normalen Schülern, die wir als ›Plebejer‹ bezeichnen, konnte man die Schule am Laufen halten.«
Plebejer. Das Wort hatte ich schon mal gesehen, und zwar in Benjamin Gallows Akte. »Aber war das nicht gefährlich für sie?«
»Anfangs schon. Es gab eine ganze Reihe von ›Unfällen‹, alle durch Untote verursacht. Die Schule wurde eröffnet und dann wieder geschlossen und durch zahlreiche Skandale in ein schlechtes Licht gerückt. Die Lehrer verstanden es aber sehr geschickt, alles als Naturkatastrophen oder Epidemien zu verkaufen. Das fand erst ein Ende, als ein neuer Rektor die Schule übernahm und von Grund auf reformierte. Er schulte die Lehrer in Selbstverteidigung und Begräbnisritualen, entwarf vorbeugende Lehrpläne und führte strenge Verhaltensregeln und Maßnahmen ein, die jetzt der Verhaltenskodex des Gottfried-Instituts geworden sind. All diese Regeln sind im Grunde Sicherheitsvorkehrungen. Zum Beispiel das Verbot von romantischen Beziehungen, das erlassen wurde, um ein versehentliches Basium Mortis zu verhindern.«
»Aber gefährlich bleibt es doch.«
»Auch wenn die Untoten heute recht selten geworden sind, kann man trotzdem noch überall, an jeder Schule, auf einen Untoten treffen. Die Plebejer sind am Gottfried weitaus besser auf ein solches Zusammentreffen vorbereitet,
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