Dead Beautiful - Deine Seele in mir
haben die Ausbildung, mit ihnen umzugehen. Aus diesem Grund – und weil ich mir wünschte, dass du die Wahrheit über die Welt kennenlernst. Bist du nicht froh, dass du Bescheid weißt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Irgendwie schon. Und dann auch wieder nicht.« Natürlich wollte ich die Wahrheit wissen. Die Frage war nur, konnte ich mit ihr umgehen?
An diesem Nachmittag stieg ich die Treppe hinab und klopfte an die Tür von Dustins Quartier. Unvermittelt öffnete sie sich. »Miss Winters«, rief er herzlich. »Sie hätten doch einfach läuten können, statt den ganzen Weg herunterzukommen.«
Ich zuckte die Achseln. »Kein Problem. Ich läute eh nicht so gern.«
»Was kann ich für Sie tun?«
»Ich habe mich gefragt, ob es hier in der Nähe vielleicht eine Videothek gibt, die offen hat?«
»Es gibt eine, kaum zwanzig Minuten entfernt. Soll ich mit Ihnen hinfahren?«
»Ja, bitte.«
Wir fuhren durch die Hinterstraßen von Massachusetts, bis wir eine heruntergekommene Einkaufsstraße erreichten. Es gab dort einen Schnapsladen, einen Mini-Markt, einen Herrenfriseur, einen Eissalon und einen Laden namens K ING ’ S V IDEOS .
Ein schlaksiger Typ beäugte uns von seinem Platz hinter der Theke aus, als wir eintraten. Zielstrebig steuerte ich die Horrorabteilung im hinteren Ladenbereich an.
Ohne erst mühsam eine Auswahl zu treffen, begann ich, Filme aus den Regalen zu ziehen, allesamt über Untote. Morgendämmerung der Toten , The Walking Dead , Schreckenshaus der Zombies , Die Nacht der lebenden Toten undnoch zwei Dutzend weitere. Als ich fertig war, schleppte ich sie zur Kasse. Dustin folgte mit dem Rest.
Der Typ hinter der Theke lächelte mit schiefen, von einer Zahnspange verkerkerten Zähnen. »Ein Zombiefreak«, grinste er breit. »Der hier ist richtig gut«, vertraute er mir an und hob einen Film hoch, der eine Art Menschenfressermonster auf der Hülle hatte. »Ein Klassiker.«
Ich nickte. »Klar.«
»Die sind dann in einer Woche wieder fällig«, sagte er und reichte uns die Quittung.
»In Ordnung«, kam von Dustin hinter mir. Wir griffen uns die Tüten und gingen.
Dustin installierte den DVD-Player im Roten Salon und ich schnappte mir wahllos einen Film vom Stapel und legte ihn ein. Vor meinen Augen stiegen die Untoten auf: Menschen, die sich aus dem Grab erhoben; Friedhöfe, von torkelnden Leichnamen niedergewalzt; von Zombies gejagte Frauen, die sich kreischend im Haus verschanzten; Männer, die von einer Zombieherde belagert in ihrem Auto festsaßen. Über jedes Zombiegesicht legte ich im Geiste das von Dante, um endlich zu begreifen, was er war.
Tagelang verließ ich den Roten Salon nicht. Ich glitt von einem Film in den nächsten, nickte vor dem blauen Licht der Mattscheibe ein und erwachte auch wieder davor. Dustin stellte mir Teller mit Essen vor die Tür, aber ich rührte es kaum an. Ein paarmal am Tag kam mein Großvater, um nach mir zu sehen, stand unbehaglich neben meinem Sofa und gab dann auf. Ab und zu ging ich den Flur hinunter, um mir aus dem Bad ein Glas Wasser zu holen. Ansonsten rührte ich mich nicht vom Fleck. Im Herrenhaus krachteund stöhnte es, die Tage wurden dunkler. Windstöße rüttelten an den Fenstern. Ich konnte nicht essen, nicht schlafen. Dante rief immer noch jeden Abend an, aber ich war nicht bereit, mit ihm zu sprechen. »Richten Sie ihm aus, ich bin beschäftigt«, sagte ich zu Dustin, wenn er wieder in der Tür stand, mit seinem Silbertablett und der Nachricht darauf. Ich konnte nicht mit ihm sprechen. Warum hatte er es mir nicht erzählt? Und was sollte ich zu ihm sagen? Hallo, Dante, ich weiß, dass du ein wandelnder Toter bist und ein geheimes Verlangen hast, mich umzubringen. Wie war dein Tag?
Nachts war es am schwersten. Ich rief Annie an, aber ich konnte ihr nicht von Dante erzählen – wo hätte ich anfangen sollen? Also berichtete ich ihr vom Herrenhaus und von Eleanor, und sie hielt mich über meine alten Freunde auf dem Laufenden, die mir mittlerweile immer fremder wurden. Ohne meine Eltern, ohne meine Freunde und mit dem untoten Dante fühlte ich mich so einsam, dass ich manchmal glaubte, ich würde es nicht ertragen. Ich fühlte mich verraten, benutzt und allein. Jetzt, wo ich über Dante Bescheid wusste, konnte ich nicht begreifen, warum ich es nicht schon vorher erkannt hatte. Ich hatte glauben wollen, dass Dante der Junge war, von dem ich immer geträumt hatte. Der Junge, der zu perfekt war, um zu existieren. Und das tat er ja auch
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