Dead Beautiful - Deine Seele in mir
das würde mir Angst einjagen. Und so war es ja auch. »Ich denke schon. Aber es bleibt doch eine Lüge, oder?«
»Das schon, aber wenn die Lüge den anderen Menschen vor Schaden oder Schmerzen bewahren soll, ist sie dann wirklich so schlimm?«
»Aber ich wollte nicht beschützt werden, ich wollte die Wahrheit wissen«, platzte ich heraus.
Sie zuckte die Achseln. »Manchmal gibt es nicht nur eine Wahrheit. Nur weil Sie mehr über ihn erfahren haben, heißt das noch nicht, dass der Mensch vorher eine Lüge war. Sie hatten nur kein vollständiges Bild von ihm.«
Ich wollte ja daran glauben, dass die Sache zwischen Dante und mir echt gewesen war, dass all die Dinge aufrichtig gewesen waren, die er mir gesagt und die er für michgetan hatte, auch wenn er untot war. Aber selbst wenn ich das schaffte, rann mir diese Wirklichkeit durch die Finger. Dante hatte ein Ablaufdatum und ich konnte ihm einfach nicht helfen.
»Aber wenn ich doch weiß, dass wir niemals zusammen sein können?«
»Hmm. Das ist wirklich knifflig. Ich glaube, das ruft nach einer Tasse Tee. Merken Sie sich, was Sie sagen wollten.« Sie stand auf und ging ins Nebenzimmer. Ich hörte, wie das Wasser lief, und dann das Zischen eines Teekessels, das Geklapper von Geschirr und schließlich das zarte Klimpern eines Löffels auf Porzellan. Sie kehrte mit zwei Tassen und einer Teekanne zurück. »Kamille?«
Ich nickte.
» Dieses niemals existiert nur in Ihrem Kopf. Alles ist möglich.«
»Aber was, wenn er zu … anders ist?«
»Empfinden Sie noch etwas für ihn? Jetzt, nachdem Sie wissen, wer er ist?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.« Dann dachte ich darüber nach. »Na ja, vielleicht … Ja.«
»Dann haben Sie sich Ihre Frage bereits beantwortet. In der Liebe tut jeder dem anderen einmal weh, da gibt es also kein eigentliches ›Richtig‹ oder ›Falsch‹. Sie müssen sich einfach klar werden, was Sie verzeihen können.«
»Aber was, wenn ich weiß, dass es nicht andauern kann?«
»Dann genießen Sie jeden Moment.«
Durch die Decke hallten Schritte aus dem Stockwerk über uns. Ich setzte die Tasse in meinem Schoß ab. »Waren Sie schon mal verliebt?«
»Oh, ich sag mir gerne, dass ich immer in irgendwas verliebt bin. Was könnte schöner sein?«
Professor Urquette sollte unser Nachsitzen beaufsichtigen. Sie unterrichtete Literatur und hatte die Form einer Aubergine. Dies betonte sie auch noch, indem sie für ihre Kleider Violett und Grün in allen Schattierungen bevorzugte. Obwohl sie nie geheiratet hatte, besaß sie die unbestimmbare Ausstrahlung eines depressiven Scheidungsopfers. Die Hautlappen unter ihrem Kinn verbarg sie hinter Häkelschals und Samttüchlein und sie pflegte an ihrem Füller zu saugen wie an einer Zigarettenspitze. Ihr ergrauendes krauses Haar trotzte allen Gesetzen der Schwerkraft und stand steil nach oben, was sie zehn Zentimeter größer erscheinen ließ, als sie wirklich war. Alle paar Monate färbte sie es wieder in seiner ursprünglichen Farbe, rot, und wenn die grauen Wurzeln nachwuchsen, sah es aus, als hätten ihre Haare Feuer gefangen.
Kurz vor fünf kam ich beim Klassenzimmer an. Dante war schon da und saß am Pult neben der Tür. Beschämt über mein Verhalten vorhin verzog ich mich zögerlich ans andere Ende des Raums und setzte mich neben das Fenster. Draußen war wunderschönes, klares Wetter und ich konnte Eleanor den Weg entlangspazieren sehen, in Begleitung einiger Mädchen aus unserem Stockwerk. Ein kalter Luftzug blies herein; ich spürte einen Niesreiz. Trotz aller Gegenwehr sprengte es aus mir heraus, laut und peinlich. Mit knallrotem Gesicht begann ich, meinen Rucksack nach Taschentüchern zu durchwühlen.
»Gesundheit«, wünschte Dante leise von drüben.
Ich sah erstaunt zu ihm hoch. »Danke.«
So saßen wir schweigend, bis die Tür aufging. Professor Urquette hüpfte ins Zimmer wie ein Ball, mit pfeifendem Atem vom Treppensteigen. Nachdem sie ihre Tasche auf das Pult geworfen hatte, brach sie auf ihrem Stuhl zusammen und rang nach Luft. Vorsichtig betastete sie ihre Frisur, um sicherzugehen, dass noch alles saß.
»Bin ich richtig informiert, dass Sie beide den Unterricht gestört haben?«
Keiner von uns antwortete.
»In Ordnung«, sagte sie und erhob sich mühsam. »Normalerweise ist das nicht meine Art, aber unsere Theaterpremiere steht kurz bevor und wir brauchen Holz, um das Bühnenbild zu bauen.«
Verständnislos starrten wir sie an.
»Also, schnappen Sie sich Ihre
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