Dead Beautiful - Deine Seele in mir
brauchte er keine Gefahr zu scheuen. Er musste sich nicht über das kalte Wetter Gedanken machen und hatte endlos Zeit zur Verfügung, da er ja nicht schlief. Kein Wunder, dass er so belesen war. Und das Beste von allem war, dass er keinen Schmerz empfand – weder emotional noch körperlich. Es sei denn, ich war in der Nähe. Was hätte ich nicht für diese Fähigkeit gegeben. Wenn ich keinen Schmerz fühlte, würde mich der Tod meiner Eltern auch nicht so quälen, denn auf den konnte ich mir immer noch keinen Reim machen.
Als ich gegen Ende jener Woche nach unten ging, um ihn zu treffen, sah ich eine schemenhafte Gestalt im Schatten beim Eingang stehen. Erst als ich hingerannt war und meine Arme um ihn geworfen hatte, stellte ich fest, dass es sich gar nicht um Dante, sondern um Brett handelte. Er schien ebenso verblüfft wie ich. »Oh, ’tschuldigung, ich hab dich mit jemandem verwechselt«, sagte ich und spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.
»Schon okay«, beschwichtigte Brett mit einem Seufzer der Erleichterung. »Bin ich froh, dass du nicht die Lynch bist.«
Ich lachte. »Allerdings. Gut, ich muss dann los.«
Brett nickte und verschwand wieder im Dunkeln.
Dante wartete draußen um die Ecke des Gebäudes. Bevor ich ihn fragen konnte, wohin es gehen sollte, nahm er meine Hand. Es war ein kalter, windstiller Abend. Kahl und leblos standen die Bäume um uns herum.
»Wie alt bist du?«, fragte ich und lehnte mich an den Stamm einer riesigen Eiche.
Dante spielte mit einer meiner Haarsträhnen. »Siebzehn.«
Ich sah zu ihm hoch. »Und wie alt bist du wirklich?«
Er schob die Hände in seine Taschen und sah zum Himmel hoch, während er im Kopf rechnete. »Jetzt kommt der sechzehnte Jahrestag meines siebzehnten Geburtstags.«
»Und wie lange bist du schon am Gottfried?«
Dante lachte. »Erst zwei Jahre. Und ich bleibe auch nur noch zwei. Das Gottfried mag ungewöhnlich sein, aber es ist immer noch eine Schule.«
Klar, dachte ich und genierte mich wegen meiner blöden Frage. Natürlich würde es komisch aussehen, wenn alle ihren Abschluss machten und nur die Untoten zurückblieben.
»Wie bist du gestorben?«
Dante fasste mich erneut bei der Hand und führte mich zur Mitte des Rasens. »Ich bin ertrunken.«
Ich dachte an meine ganzen Schwimmausflüge zum Jachthafen. Zu ertrinken schien mir ein einsamer, fremder Tod, ein Tod in einer unbekannten Welt.
»Was ist passiert?«
»Ich habe dir doch erzählt, dass wir in dieser völlig einsamenGegend in British Columbia gewohnt haben?« Als ich nickte, fuhr er fort. »Einen Sommer bin ich mal mit meiner kleinen Schwester Cecilia spazieren gegangen, um ihr zu zeigen, wie man Holz hackt. Dabei ist sie in einen eiskalten Teich gefallen. Ich bin ihr nachgesprungen und habe sie zurück nach Hause gebracht, aber nach einer Woche konnte sie nicht mehr essen, hat gehustet und gar nicht aufgehört zu zittern. Lungenentzündung, haben wir gedacht. Unser Nachbar war Buschpilot. Der hat angeboten, uns in die nächste Stadt zu fliegen.
Wir sind alle rein in dieses winzige Wasserflugzeug und nach einer Stunde Flug ist irgendwas schiefgelaufen. Das Flugzeug ist ins Meer gekracht, irgendwo vor der Pazifikküste. Den ganzen Weg runter hat mein Vater uns festgehalten und Gebete in den Wind geschrien. Ich war siebzehn.«
Mein Schal flatterte im Wind, aber ich bemerkte es kaum. »Und alle sind umgekommen?«
»Ich glaub schon. Ich weiß es nicht. Ich bin irgendwo in Kalifornien an Land gespült worden. Ich hab weder meine Eltern noch meine Schwester wiedergesehen.«
»Das tut mir leid«, sagte ich leise. »Das tut mir so leid.«
»Schon okay. Ist sehr lange her.«
Ich sah ihn an. »Wenn deine Schwester nicht begraben wurde und sie wie du an Land gespült worden ist, dann könnte sie auch irgendwo sein.«
»Ich weiß. Ich muss dauernd an sie denken. Aber vielleicht ist ihr Körper auch zerstört worden. Das Flugzeug hat beim Absturz Feuer gefangen. So viel weiß ich noch.«
»Und weil du nicht begraben worden bist, bist du … wieder auferstanden und hast jetzt keine Seele mehr.«
»Genau.«
»Wie fühlt sich das an?«
Er hielt inne, suchte nach den richtigen Worten. Jetzt, als die Nacht heraufzog, verfärbte sich der Himmel blauschwarz. »Vertraust du mir?«
Ich nickte. Dante führte mich zum Schnee am Wegesrand.
»Mach die Augen zu«, sagte er.
Ich schloss sie und er band mir etwas um den Kopf, das sich wie ein Schal anfühlte. Ich rührte mich nicht. Dann
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