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Dead Beautiful - Deine Seele in mir

Dead Beautiful - Deine Seele in mir

Titel: Dead Beautiful - Deine Seele in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Y Woon
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schaute sie mir in die Augen, als gäbe es da vielleicht eine Antwort.
    »Ja, ich glaub schon, dass es das gibt.«
    Das schien Eleanor etwas zu beruhigen. »Was würdest du machen, wenn du nur noch ein paar Tage zu leben hättest?«
    Ich musste einen Moment über diese Frage nachdenken. Im Kopf ging ich all die Dinge durch, die ich mir vorgenommen hatte: eine Trekkingtour durch den Himalaja, die Pyramiden sehen, mit dem Auto quer durch Amerika, Spanisch lernen, erst in der Stadt leben und dann auf dem Land, einen Roman schreiben – die Liste schien endlos. »Ich glaube, ich würde versuchen, möglichst viel Zeit mit den Leuten zu verbringen, die mir wichtig sind.«
    Eleanor dachte darüber nach. »Ich auch.«
    Ich rollte mich unter der Decke zusammen. Ich erzählte ihr von den Akten, von Cassandra und wie sie aus Versehen Benjamin umgebracht hatte, und dann von Dante. »Was, glaubst du, ist Cassandra passiert? Glaubst du, die Schule hat sie begraben, wie Minnie behauptet hat?«
    Eleanor wirkte verstört. »Nein.«
    »Klar«, beeilte ich mich zu sagen, »das würden die nie tun.«
    So lagen wir bis in die frühen Morgenstunden, redeten über die Dinge, die wir machen, die Orte, die wir besuchen, und die Menschen, die wir werden wollten.
    Mitte März – an den Iden, wie es Professor Urquette bedeutungsschwer nannte – war es wärmer geworden und der Schnee begann gerade zu schmelzen. Als das Wasser die Wegesränder hinablief, enthüllten sich langsam der Campus und alles Verborgene – das gelbe Gras, vollgesogen und platt gedrückt; die Bänke, Statuen und Brunnen, dazwischen die eine oder andere Frisbeescheibe, ein Spaten oder Handschuh.
    Ich hatte Nathaniel seit den Ferien kaum zu Gesicht bekommen; das Schultheater hielt ihn schwer auf Trab – er hatte eine der Hauptrollen, als Elektra. Nach dem Mittagessen half ich ihm manchmal, seinen Text zu lernen. Nie hätte ich erwartet, dass er sich für Theater interessierte; es schien immer, als seien Zahlen seine natürliche Sprache. Aber sobald er die Brille absetzte und seinen Text vortrug, verwandelte er sich in einen gewandten, selbstsicheren Helden mit einer tiefen, vollen und nicht ganz nach ihm selbst klingenden Stimme. Davon abgesehen sahen wir uns nur im Unterricht. Mathe fand immer im »Saal µ« statt, der aber aus offensichtlichen Gründen meistens »Mysaal« genannt wurde.
    Professor Chortle glich einem dicken Engelchen, mit dünnen Lippen und rosigen Wangen, die seine unverdorbene Reinheit unterstrichen. Die konnte er sich höchstwahrscheinlich nur bewahrt haben, indem er seine Sturm-undDrangjahre im Schutze seiner vier Wände zugebracht und über Mathematik nachgedacht hatte.
    Imaginäre Zahlen , kritzelte er an die Tafel.
    »Imaginäre Zahlen sind Zahlen, die nur in einer anderen Welt als der unseren existieren. Deshalb können wir ihr Vorhandensein auch nur erahnen. « Worüber er auch sprechen mochte – all seinen Vorträgen haftete etwas Träumerisches an, als ob sein natürliches Lebensumfeld gar nicht hier wäre, sondern in irgendeiner Renaissancelandschaft, wo er seine Tage damit zubrachte, sich im Grase ruhend an einem Apfel zu ergötzen und über die Bedeutung der Endlosigkeit nachzusinnen.
    Ich kaute auf meinem Füller herum. Nathaniel saß am Nachbartisch, den Blick auf die Tafel geheftet.
    »Wenn beispielsweise Menschen sich älter verhalten, als sie es sind, heißt das meistens, dass sie viele imaginäre Jahre hinter sich haben«, erklärte Professor Chortle.
    Ich riss eine Ecke aus meinem Block.
    Glaubst du, Eleanor ist okay?
    Ich war mir ziemlich sicher, dass Nathaniel untot war, hatte aber noch nicht mit ihm darüber gesprochen. Was sollte ich auch sagen? Bist du tot? Aber jetzt, wo Eleanor auch untot war, führte kein Weg mehr daran vorbei. Ich faltete den Zettel und warf ihn ihm auf den Schoß, als Professor Chortle nicht hinsah.
    Erstaunt betrachtete Nathaniel ihn und wendete den Kopf, um Yago, der hinter ihm saß, mit einem finsteren Blick zu bedenken. Dann fegte er den Zettel von seinem Schoß auf den Boden.
    Ich versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erregen, aber erwar zu vertieft in den Vortrag. Ich ließ meinen Stift fallen, lehnte mich über den Gang und griff mir den Zettel. Diesmal schrieb ich seinen Namen drauf und warf ihn wieder in seinen Schoß. Nathaniel wollte sich schon wieder umdrehen, als ich seinen Blick einfing.
    Endlich fiel bei ihm der Groschen. Er faltete den Zettel auseinander und kritzelte eine Antwort.
    Denk

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