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Dead Beautiful - Deine Seele in mir

Dead Beautiful - Deine Seele in mir

Titel: Dead Beautiful - Deine Seele in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Y Woon
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hineintrudelten. Alle bis auf sie. Schließlich gab ich es auf und ging alleine hinein. Glücklicherweise entdeckte ich Nathaniel einsam in einer Ecke, umgeben von Papieren und Milchgläsern. Er war noch gestresster von seinen Hausaufgaben als ich und gemeinsam aßen wir rasch zu Abend, bevor wir in die Wohnheime zurückgingen.
    Als ich zurück in mein Zimmer kam, war Eleanor immer noch nicht da. Vielleicht hing sie noch mit den Theaterleuten rum. So allein an meinem Schreibtisch wusste ich nichts mit mir anzufangen. Ich versuchte mich an meinem Philosophie-Aufsatz, aber als ich auf das Geschriebene starrte, verschwammen die Buchstaben vor meinen Augen und verwandelten sich in Schattenrisse meiner Eltern. Und kaum war es mir gelungen, sie aus meinen Gedanken zu vertreiben, wurde ihr Platz schon eingenommen von Annie, Dante und einer verwirrenden Mischung aus Wes und Brett.
    Ich sah auf die Wanduhr. Jedes Mal, wenn ich das tat, schien eine Stunde vergangen und immer noch nichts geschafft zu sein. Ich musste den Kopf frei kriegen, aber ohne Eleanor hatte ich niemanden zum Reden. Ich hätte nebenan nachsehen können, ob ihre Freundinnen da waren, aber Eleanor war wahrscheinlich das Einzige, was wir gemeinsam hatten. Ich schaute wieder nach der Uhrzeit. Wenn es hier acht war, dann war es in Kalifornien fünf. Ich griff zum Hörer und rief Annie an, aber niemand hob ab. Ich knallte den Hörer etwas härter auf die Gabel als gewollt und begann, im Zimmer umherzutigern. Es war unordentlich und überall lagen Klamotten rum. Ich sammelte sie zusammenund stopfte sie in meinen Kleiderschrank. So räumte ich herum, bis ich schließlich unter meinem Bett landete, wo ich einen Pulli aus dem Koffer holen wollte. Alles war voller Wollmäuse und feine Spinnweben hingen vom Bettrahmen herab. Als ich nach dem Koffer angelte, berührte meine Hand etwas Weiches. Ich zog sie zurück und entdeckte eine Ansammlung toter Motten, die in einem staubigen Knäuel baumelten. Mir stockte der Atem und ich verzog das Gesicht vor Ekel. Dann schüttelte ich meine Hand und rieb sie auf dem Boden, bis die Motten im Teppich klebten. Jetzt nur raus aus diesem Zimmer. Kurz entschlossen schob ich meine Bücher in die Tasche und schlüpfte hinaus auf den Flur.
    Dort empfing mich das durchdringende Aroma der Weiblichkeit. Blüten- und Zitrusdüfte wallten aus den Türritzen, aus den Duschen im Waschraum waberte heißer Wasserdampf und ein schwacher Hauch von Nelken drang aus dem Flügel des vierten Jahrgangs. Der Flur war verlassen, doch hinter jeder Tür hörte man gedämpftes Geplauder, das dem Wohnheim etwas Magisches gab, als ob sich hinter jeder Tür ein eigenes, abgeschlossenes Universum befände.
    Bis zur Sperrzeit um neun blieb mir nur eine Stunde und ich eilte die Treppe hinunter, in die klare Nachtluft hinaus. An der Gabelung hielt ich inne. Ich wusste nicht, wohin ich gehen oder was ich tun wollte. In Sekundenschnelle entschied ich, nach rechts Richtung Bibliothek zu laufen.
    Die Coplestone-Bibliothek war ein gewaltiger, griechisch anmutender Bau, dessen Frontseite von dicken dorischenSäulen gestützt wurde. Darüber zeigte der dreieckige Giebel eine antike Kampfszene. Unter dem Gesims stand ein weiterer lateinischer Spruch: HOMO NIHIL QUAM QUID SCIET EST.
    Die Scharniere der riesigen Eisentüren quietschten beim Öffnen und ein warmer Luftstoß wehte mir von drinnen entgegen. Die Bibliothekarin erinnerte mich an einen Maulwurf: schlechte Haltung, kurzes graues Haar und ein leichter Damenbart. Schon am Eingang hielt sie mich auf. »Die Bibliothek schließt um neun«, warnte sie. Der Klang ihrer Stimme ließ mich zusammenzucken, denn sie war lauter als alles, was ich jemals in einer Bibliothek gehört hatte. »Und keine Lebensmittel oder Getränke. Rauchen ist ebenfalls nicht gestattet. Oder Gesellschaftsspiele. Oder Unterhaltungen. Oder Pfeifen.«
    Das schien reichlich überflüssig, aber ich nickte trotzdem. »Okay.«
    »Pssst!«
    Ich verdrehte die Augen und trat so leise wie möglich ein. Die Decken schienen unermesslich hoch und Buchrücken säumten die Wände bis nach oben. Ich hatte gewusst, dass es viele Bücher gab auf der Welt, aber noch nie hatte ich so viele in einem Raum versammelt gesehen.
    Ich ging den Hauptgang entlang und suchte einen Sitzplatz. Das flackernde, gelbe Licht von Öllampen erhellte die Räume. Die Bibliothek war mäßig gefüllt; jeder Tisch war von mindestens einem Schüler belegt. Ein plüschiger roter Teppich

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