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Dead Beautiful - Deine Seele in mir

Dead Beautiful - Deine Seele in mir

Titel: Dead Beautiful - Deine Seele in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Y Woon
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auch nicht überrascht, dass sie beide fast identische Leben führten. Er war der Älteste von drei Geschwistern und hatte Rugby und Fußball gespielt, bevor er ans Gottfried gekommen war. Enttäuscht, dass es diese Sportarten hier nicht gab, war er inzwischen Kapitän des Leichtathletikteams geworden. Er hatte einen hellen Labrador, mit dem er im Sommer gerne Frisbee spielte; seine Lieblingsfarbe war Blau; er mochte jede Art von Musik außer Country, und Hemingway (wer sonst) war sein Lieblingsschriftsteller, behauptete er wenigstens. Ich bezweifelte schwer,dass er irgendetwas abseits der Schullektüre gelesen hatte. Als wir nach dem Frühstück durch die eiserne Flügeltür von Haus Horaz traten, waren Eleanors Augen ganz glasig vor Bewunderung.
    »Der ist ja wohl ein Prachtstück«, sagte sie, als wir die Treppen zum dritten Stock hochstiegen. »So männlich. So amerikanisch. So … braun gebrannt.«
    »So was von aufgesetzt«, sagte ich und betrat den Raum, in dem Philosophie stattfand.
    Das Klassenzimmer hatte eine hohe Balkendecke und zwei Fenster, durch die man auf den Park sah. Ein paar Leute setzten sich schon, unterhielten sich oder blätterten in ihren Büchern. Wir setzten uns in die erste Reihe und ich konnte es mir nicht verkneifen, den Raum nach Dante abzusuchen. Er war nicht da.
    Nathaniel hastete uns nach. Sein magerer Körper krümmte sich unter dem schweren Rucksack, wodurch er wie eine Schildkröte aussah. Gerade als es klingelte, setzte er sich an meinen Nachbartisch.
    »Hallo, Renée«, japste er schweißnass. Er schob sich die Haare aus dem Gesicht und rückte seine Brille zurecht. »Hast du deinen Aufsatz fertig bekommen? Ich hab fast die ganze Nacht durchgemacht. Ich hab’s viermal umschreiben müssen, bevor ich’s hingekriegt hab.«
    Mir wurde plötzlich ganz flau im Magen. »Aufsatz?« Ich schaute zu Eleanor, in der Hoffnung, dass ihr das ebenso neu war, aber sie zog ihren gerade aus dem Spiralblock heraus.
    »Ja, über einen Mythos, an den man gern glauben möchte. Hast du keinen geschrieben?«
    »Nein, ich hab doch die Stunde verpasst, weil Mrs Lynch mich zum Umziehen geschickt hat.«
    »Ach ja …« Eleanor sah mich reumütig an. »Tut mir leid. Ich dachte, du weißt Bescheid. Du hast während der Lernstunde so beschäftigt ausgesehen, dass ich geglaubt hab, du schreibst ihn gerade.«
    Ich seufzte und begann, mir einen Notfallplan zurechtzulegen. »Nein, ist meine Schuld. Ich hätte einen von euch fragen sollen.«
    »Ich hab ein paar Entwürfe«, sagte Nathaniel. »Sind nicht so prickelnd, aber du kannst einen haben, wenn du willst.« Er reichte mir ein paar verknickte Blätter.
    Das war eine nette Geste, aber ich war nicht wild aufs Schummeln. Außerdem wusste zwar jeder, dass Nathaniel ein Mathegenie war, aber ob sich das auch aufs Schreiben übertrug, war die große Frage. »Ach nein, schon okay. Ich erklär einfach, was los ist.«
    Aber Nathaniel ließ nicht locker. »Mir macht’s wirklich nichts aus«, sagte er mit ernster Miene und hielt mir die Aufsätze hin. Mir blieb nichts anderes übrig, als sie zu nehmen und mit dem Lesen zu beginnen.
    Seine Handschrift war krakelig und überall auf dem Papier waren Tintenkillerflecken. Der erste Aufsatz lautete »Ich möchte an mich selbst glauben«. Ich blätterte weiter zum nächsten. »Ich möchte daran glauben, dass Rechner das menschliche Gehirn ersetzen können.« Und: »Ich möchte an imaginäre Zahlen glauben.« Letzteres wirkte am vielversprechendsten, auch wenn es mehr wie ein mathematischer Beweis als wie ein Aufsatz aussah und am Thema eher vorbeiging.
    Ich biss mir auf die Lippe. »Die sind wirklich … gut«, beteuerte ich und reichte sie ihm zurück, »aber ich fühl mich nicht wohl dabei, deine Arbeit abzugeben. Ich werd einfach nach der Stunde mit dem Lehrer reden. Hoffentlich versteht er’s.«
    Nathaniel zuckte die Achseln und stopfte die Blätter zurück in seinen Block. »Es ist eine Sie .«
    Wie um den Satz zu vervollständigen, betrat eine mit Papieren beladene Frau den Raum. Sie legte sie auf dem Pult ab und trat mit einem Buch in der Hand vor die Klasse. Ich betrachtete sie voller Ehrfurcht. Sie war die Frau, die mich vor dem Büro der Rektorin bewahrt hatte.
    Annette LaBarge war keine Schönheit. Sie war eher ziemlich unscheinbar. Ihre Kleider waren funktional und schnörkellos, überwiegend in Erdtönen gehalten: heute ein Leinenrock, der ihre zarten Knöchel und ihre Korkschuhe betonte. Ich stellte sie mir in

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