Dead Beautiful - Deine Seele in mir
dunkler gewesen, seine Brillengläser dünner. Er stand vor den Toren des Instituts, einen Schulschal um den Hals drapiert, lächelte und hatte fast gar nichts von dem Brummbär, den ich letzten Sommer kennengelernt hatte. Die Bildunterschrift lautete: Rektor Brownell Winters, 1974 . Darunter folgte der Text eines Zeitungsartikels, ein Wiederabdruck aus dem Portland Herald .
DER GOTTFRIED-FLUCH
7. Juli 1989
Von Jacqueline Bruckmeyer
Nach beinahe zweihundert Jahren ohne größere Vorkommnisse hat nun ein Feuer die Wälder rund um das Gottfried-Institut verwüstet, die nahe Attica Falls gelegene Privatschule. Die Anstalt ist nicht nur berühmt für den hohen Standard ihrer humanistischen Lehre, sondern auch berüchtigt für ihr Näheverhältniszu Katastrophen aller Art. Seit seiner Gründung im Jahre 1735 wurde das Gottfried-Institut von einer ganzen Serie ebenso schrecklicher wie unerklärlicher Tragödien heimgesucht, von Seuchen über Naturkatastrophen bis hin zu einer Reihe hochbizarrer, unnatürlicher Unfälle. Die wiederholten Unglücke am Gottfried-Institut riefen zahlreiche Mysterienforscher auf den Plan, die nach Ursachen und Mustern hinter den Desastern suchten, aber alle unter seltsamen Umständen ums Leben kamen. 1789 schien die Serie beendet. Aber ist dieses Phänomen, in Attica Falls als »Gottfried-Fluch« bekannt, wirklich tot und begraben?
Alles begann im Jahre 1736 mit einem Ausbruch einer Masern- und Mumps-Epidemie. Dr. Bertrand Gottfried, der die Schule als Kinderkrankenhaus gegründet hatte, bemühte sich, die Seuche abzuwehren, doch trotz seiner Anstrengungen starben über einhundert Kinder. Gerüchten zufolge erbaute der Mediziner unter dem Spitalsgelände Katakomben, um die Kinder zu begraben und Neuinfektionen einzudämmen. Drei Jahre später starb Bertrand Gottfried unter mysteriösen Umständen. Ein Hausmeister fand seine Leiche im See; als Todesursache wurde Herzversagen angenommen.
Ich hielt inne und starrte auf den Text. Herzversagen . »Das gibt’s nicht«, murmelte ich.
»Was?«, fragte mich Nathaniel über meine Schulter hinweg.
»Bertrand Gottfried ist an Herzversagen gestorben. Wie meine Eltern.«
»Er war alt«, sagte Nathaniel. »Gilt nicht gerade als exotischste aller Todesarten.«
»Schon, wenn man im See gefunden wird.«
»Vielleicht war er gerade schwimmen, als er den Herzanfall hatte«, überlegte Nathaniel.
»Oder vielleicht war’s kein Herzanfall.«
»Blätter mal um.«
Obwohl die Katakomben nie entdeckt wurden, gelten sie als Keimzelle des unterirdischen Tunnelsystems, das noch heute das Gelände durchzieht. Alle früheren Rektoren, auch die neue Amtsinhaberin Calysta van Laark, haben es abgelehnt, sich zu diesem Thema zu äußern.
Nach dem Tod Bertrand Gottfrieds nahm das Krankenhaus keine neuen Patienten mehr auf und schottete sich gegen die Außenwelt ab. Ein ganzes Jahrzehnt hindurch ging niemand ein oder aus, einen Hausmeister ausgenommen, der einmal in der Woche Vorräte aus Attica Falls brachte. Doch so plötzlich, wie man die Anstalt geschlossen hatte, wurde sie wieder eröffnet – diesmal als Schule. Die damalige Oberschwester, Ophelia Hart, stieg zur ersten Rektorin auf. Sie nannte das Haus nach seinem Gründer »Gottfried-Institut«.
Mit der Zeit geriet die tragische Geschichte des Krankenhauses in Vergessenheit und immer mehr Schüler traten ein. Unglücksfälle folgten auf dem Fuße: 1751 der völlig unerwartete Einsturz des heutigen Theaters; 1754 der verheerende Nordost-Sturm; 1759 eine Tuberkulose-Epidemie; 1767 eine Lebensmittelvergiftung.Zehn Jahre später wurde die Schule im Unabhängigkeitskrieg teilweise zerstört; es folgte eine ganze Reihe von Unglücken, die mit der Explosion des Chemielabors im Jahre 1789 ihren Höhepunkt fanden.
Was aber war der Ursprung des Fluchs – und ist er heute wirklich gebannt? Einigen gilt die ganze Gegend selbst als verwünscht. Andere verweisen auf Bertrand Gottfried. »Alles ging los, als er gestorben ist«, meint die Ortsansässige Esther Bancroft. »Das war kein Arzt, sondern ein Sünder. Gott weiß, was er den armen Kindern angetan hat. Und dann haben sie ihn umgebracht und seine Seele warnt die Leute, wegzubleiben.« Andere halten die erste Rektorin für die Schuldige.
»Es war diese Frau«, gibt die 84-jährige Hazel Bamberger aus Attica Falls zu Protokoll. »Diese Krankenschwester, die aus dem Krankenhaus unbedingt eine Schule machen musste. Ophelia. Sie und dieser Doktor Bertrand, das war keine
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