Dead Beautiful - Deine Seele in mir
geradeaus. Keine Abzweigungen.«
Ich schob eine Haarsträhne hinters Ohr. »Wir sehen uns dann im Unterricht?«
»Klar. Aber falls wir keine Möglichkeit haben, uns zu unterhalten, triffst du mich heute Abend vor der Kapelle? Um elf ?«
»Warum sollten wir uns nicht unterhalten können?«, fragte ich und versuchte, meine Verunsicherung nicht zu zeigen.
»Triff mich einfach vor der Kapelle. Ich muss dir was sagen.«
Ich nickte und Dante half mir in den Brunnen.
An der Innenseite ragten ein paar Steine heraus, die sich als behelfsmäßige Leiter nutzen ließen. »Bis dann«, sagte ich und begann mit dem Abstieg. Sein besorgter Blick folgte mir, bis ich in der Dunkelheit verschwunden war.
Im Brunnen war es finster und beklemmend. Nichts war zu erkennen und ich hatte kaum genug Platz, meine Knie anzuwinkeln. Ich kletterte hinab, ohne zu wissen, was mich unten erwartete. Ein paar Sprossen tiefer traf mein Fuß auf Erde. Ich riss ein Streichholz an.
Vor mir lag ein höhlenartiger Tunnel, hoch genug, um darin zu stehen. Die Wände waren aus trockener Erde, die unter meinen Fingern wie Kreide zerbröckelte. Ein schwacher Geruch nach Mulch hing in der Luft. Ich tastete in der Dunkelkeit herum, riss noch ein Streichholz an und entzündete die Kerze. Immer wieder fühlte ich einen kalten Luftzug von der gegenüberliegenden Wand, wo der Tunnel nach links abzweigte. Ich versuchte, nicht daran zu denken,was passieren würde, wenn ich mich verlief. Schließlich führte der Tunnel aufwärts und ich hatte das Ende erreicht. Ich löschte die Kerze und zog mich in die feuchte Luft der Kapelle hinauf.
Durch ein Wellblechgitter entstieg ich dem Fundament der Kanzel. In der Kapelle ächzte und pfiff es, als der Winterwind durch ihre Türmchen blies, und oben auf der Treppe konnte ich Fledermäuse zirpen hören. Durch die Buntglasfenster fiel farbiges Licht und warf rote Schatten auf den Boden. Ich wollte mich hier nicht länger aufhalten als unbedingt nötig; meine Schritte hallten von den Gewölbedecken wider, als ich durch die Kirchenbänke schlich. Ich öffnete das defekte Schloss und trat in den Novembermorgen hinaus.
Der Schnee hatte den Gottfried-Campus in eine weite, unberührte Landschaft verwandelt. Jeder Baum, jeder Pflasterstein, jeder Grashalm war von einer zarten weißen Schicht überzogen. Eine Gruppe Jungen begegnete mir auf dem Weg zum Speisesaal und ich sah auf die Uhr. Es war schon fast acht und ich musste noch duschen und sämtliche Schulstunden hinter mich bringen, bevor ich Dante wiedersehen konnte. Ich knöpfte mir den Mantel zu und rannte über den Campus, während ich vor meinem geistigen Auge die Ereignisse von letzter Nacht immer wieder ablaufen ließ.
Als ich beim Wohnheim ankam, trat ich beim Öffnen der Tür in eine riesige Pfütze. Erschrocken sprang ich zurück und entdeckte, dass der ganze Eingangsbereich im Erdgeschoss überflutet war. Ich lief nach oben, wo sich die Mädchen in den Fluren drängten. Alle sahen verschlafenund entnervt aus; die aus dem ersten Jahrgang beschwerten sich über die nassen Teppiche in ihren Zimmern. Auf der Suche nach Eleanor schob ich mich durch die Menschenmenge, vorbei an zusammengedrängten Mädchen in Bademänteln, Hausschuhen, Nachthemden, Flipflops und XL--Shirts. Endlich entdeckte ich Rebecca. Sie stand mit Charlotte, Greta, Maggie und Bonnie in der Ecke.
»Was ist los?«
»Es gibt kein fließendes Wasser«, sagte Rebecca.
»Was ist denn passiert? Das ganze Erdgeschoss steht unter Wasser!«
»Wir haben keine Ahnung«, sagte Maggie. »Die Lynch rollt gerade an, um es uns zu sagen, schätz ich mal.«
»Habt ihr irgendwo Eleanor gesehen?«
Maggie schüttelte den Kopf. Sie hatte ihre Kontaktlinsen noch nicht eingesetzt und wirkte verlegen mit ihrer Brille. »Wir dachten, sie wäre bei dir.«
»Klar«, sagte ich wie nebenher, denn ich konnte ja schlecht zugeben, dass ich letzte Nacht nicht im Wohnheim gewesen war. »Vielleicht ist sie noch im Zimmer.«
»Oder vielleicht ist sie mit Genevieve zusammen«, sagte Charlotte. Ihre Haare waren auf Lockenwickler gedreht. Sie umklammerte einen Luffa-Schwamm und einen Kulturbeutel, prall gefüllt mit Shampoos und Kosmetikfläschchen. »Sie war heute Morgen nicht im Zimmer, als ich aufgewacht bin.«
»Wahrscheinlich wieder ein Wächterkomitee-Treffen in aller Frühe«, sagte Maggie fast verbittert. »Die sieht man echt gar nicht mehr.«
Charlotte zuckte mit den Achseln und fing an, über ihrePläne für die
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