Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
Mittagessen.« Er hielt inne. »Renée?«
»Ich hab keinen Hunger.«
»Du hast die ganze Woche so gut wie nichts zu dir genommen.« Er drehte am Knauf, merkte, dass ich abgeschlossen hatte, und rüttelte an der Tür. »Was machst du da drinnen?«
»Nichts.« Ich zerrte gerade einen Stuhl in die Kleiderkammer meiner Mutter, die noch immer mit Dingen aus ihrer Kindheit vollgestopft war. »Geh weg.« Ich stellte ihn an die Wand, und als ich annahm, dass mein Großvater kapituliert hatte, stieg ich drauf. Dann tastete ich im obersten Regalfach herum, bis ich auf ein langes Lederköfferchen stieß. Ich zerrte es heraus und ließ es mit einem dumpfen Aufschlag zu Boden plumpsen.
»Was war das für ein Geräusch?«, rief mein Großvater. »Bist du bald fertig mit Packen? In einer Stunde reisen wir ab.«
»Ja«, brüllte ich und ließ die Schlösser des Köfferchensaufschnappen. »Alles bestens. Lass mich einfach in Frieden.« Drinnen lag eine Schaufel, der hölzerne Schaft ganz dunkel von den Händen meiner Mutter und das Blatt rostfleckig. Sacht strich ich über das Metall. Als ich sie aus dem Koffer hob und aufrichtete, war sie überraschend schwer. Ich blickte in den Spiegel gegenüber und versuchte, in mir das zu erkennen, was ich war. Ein Wächter.
Ich zog mein Hemd im Nacken hinunter und starrte auf das Spiegelbild meines Rückenmals, wie es sich leise von weiß zu rosa verfärbte, wenn ich die Schultern rollte, und wie sich seine Form zu ändern schien, wenn ich den Hals bewegte. Von einem Oval zu einem Totenschädel zu den Umrissen von Dantes Gesicht.
»Uns verbindet gar nichts«, flüsterte ich. Meine Augen sahen mich schwer und dunkel an. Und rasch, ehe ich wieder ins Wanken kommen konnte, riss ich ein Pflaster aus seiner Hülle und drückte es über den Fleck, bedeckte ihn, entfernte ihn aus meinem Leben.
Montreal lag unter einer fast meterdicken Schneedecke, als ich abends dort eintraf. Der Trolley, den ich durch die Gasse zum St. Clément schleifte, hinterließ zwei zittrige Spuren im Schnee. Kurz vor dem Tor musste ich anhalten. Mein Koffer hatte sich in einer Eisfurche verfangen. Ich drehte mich um und zerrte am Griff, als ich bemerkte, dass es mehr als eine Furche war. Es war eine Form: ein riesiger, auf den Gehweg gezeichneter Buchstabe. Ich trat einen Schritt zurück und schob mir die Kapuze vom Kopf. Es war nicht nur ein Buchstabe, es waren mehrere. Da, unter der Straßenlaterne, war eine lateinische Botschaft tief in den Schnee gegraben.
VERZEIH MIR.
Ich ließ den Koffer fallen und wirbelte herum, suchte die Gasse und die Gebäude nach irgendeiner Spur von Dante ab. Doch es war alles ruhig. Ich zog den Mantel fester um mich und starrte auf die Botschaft; die Kälte biss mir in die Wangen, während der Schnee nach und nach die Buchstaben füllte. Ihm verzeihen? Wie sollte das gehen? Noch nicht einmal jetzt hatte er mir ehrlich sagen können, was er trieb.
Kaum hatte ich meinen Koffer in mein Zimmer gebracht, stattete ich Anya einen Besuch ab. Ich klopfte an ihre Tür, aber sie brüllte mir nur ein vertröstendes »Sekunde!« heraus und so hing ich eine Weile vor der Besenkammer herum und versuchte, meinen Rock zu entknautschen.
Anya öffnete die Tür im seidenen Bademantel. »Renée, hab gar nicht gewusst, dass du wieder da bist.«
»Wir müssen nach Vermont«, sagte ich.
Sie sah mich prüfend an. »Komm rein.«
Ihr Zimmer lag unter einer Schicht von Klamotten, Schuhen und Spitzenunterwäsche begraben. Sie pflügte das Sofa frei und setzte sich neben mich. »Du hast wieder eine Vision gehabt.«
Oben an ihrem Ohr prangte ein neues Piercing, an dem sie herumzwirbelte, während ich ihr von dem Bauernhaus und Cindy Bells Namen erzählte und dass ich die Schaufel meiner Mutter mitgenommen hatte. Doch ich scheute davor zurück, Dante zu erwähnen, obwohl ich nichts lieber getan hätte. Diese Last schleppte ich jetzt schon so lange mit mir herum; es wäre ganz natürlich gewesen, sich einfach davon zu befreien. Aber aus irgendeinem Grund brachte ich es nicht fertig.
Zum ersten Mal wurde mir klar, dass ich alles andere als ein großartiger Wächter war. Wäre ich das, hätte ich Dante ausgeliefert. Ich hätte ihn daran gehindert, in jener Nacht mein Zimmer wieder zu verlassen, hätte am nächsten Morgen meinen Großvater informiert und dann dabei geholfen, ihn zu fangen. Was hatte mich abgehalten?
Als ich fertig war, runzelte Anya die Stirn. »Aber Cindy Bell ist ja gar nicht in Breaker
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