Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
einen Bissen nahm. Schmeckte immer noch nach nichts. Wieder griff ich nach dem Streuer, doch das schien meinem Großvater nicht zu passen.
»Das reicht wirklich«, sagte er und nahm mir den Streuer weg. »Das Essen ist bereits ausreichend gewürzt. Und du wirst alle Fragen beantworten, die die Ärzte dir stellen. Ich habe sie aus gutem Grund konsultiert.«
Ich starrte auf meinen Teller.
»Das alles ergibt keinen Sinn«, bemerkte mein Großvater und wischte sich die Lippen an der Serviette ab. »Du warst tot. Neun Tage lang warst du tot. Sie haben dich im Park gefunden und dich in den Krankenflügel gebracht, um – entsprechend meiner Weisung – auf deine Auferstehung zuwarten. Ich habe dich mit eigenen Augen gesehen.« Er hielt inne und nahm einen Schluck Wasser. »Aber am Tag, an dem du hättest auferstehen sollen, bist du verschwunden. Und dann haben wir dich im Park wiedergefunden, nicht untot, sondern lebendig. Völlig lebendig.« Er betrachtete mich eindringlich. »Wie hast du überlebt?«
Draußen wienerte einer von den Hausangestellten die Scheiben; hinter den Wischbewegungen seines Fensterleders blitzte die Abendsonne herein. Ich hätte meinem Großvater die Lücken in seiner Geschichte füllen können. Ich hätte ihm erzählen können, dass Dante und ich uns dieselbe Seele teilten. Dass ich Dante in jener Nacht mein Leben geschenkt und er es mir zehn Tage später im Mohnblumenfeld zurückgegeben hatte. Doch was wäre dann passiert? Mein Großvater hätte das niemals verstanden. »Ich hab dir schon gesagt, was ich weiß. Ich verstehe es auch nicht besser als du. Was willst du denn sonst noch hören?«
Mein Großvater schüttelte den Kopf. »Unter den Lehrern wird schon gemutmaßt, du hättest eine Art Immunität gegenüber den Untoten entwickelt. Dass du eine neue Art von Wächter bist.«
»Was meinst du damit?« Ich schluckte schwer.
»Sie glauben, dass du unsterblich bist.« Er hielt inne. »Aber das ist Geschwätz. Niemand springt dem Tod auf diese Weise von der Schippe.«
Ich brach unseren Augenkontakt und stocherte in meinem Essen herum. »Also, jetzt bin ich am Leben. Können wir das Ganze nicht einfach vergessen?«
»Vergessen?« Er wirkte beinahe persönlich beleidigt. »Du willst mehr wissen über Annette LaBarges Tod, über denTod deiner Eltern, aber für deinen eigenen interessierst du dich nicht? Hier geht es um dein
Leben
, Renée. Möchtest du gar nicht wissen, wieso du damit davongekommen bist?«
»Natürlich will ich das«, murrte ich.
»Du bist nicht du selbst. Du siehst noch nicht mal aus wie du selbst. Und du verheimlichst mir etwas.«
Ich lugte den Flur hinunter Richtung Küche, wo ich die Köche ein- und ausgehen sah und das Geschirr klappern hörte. Obwohl ich mich noch daran erinnern konnte, wie sich das Haus zur Essenzeit immer mit dem Duft vor sich hin köchelnder Gerichte gefüllt hatte, roch ich jetzt nur noch etwas, wenn ich die Nase direkt über den Teller hielt. »Keine Ahnung, wovon du redest«, sagte ich. »Ist doch alles in Ordnung.«
Lebendig war ich durchaus und keineswegs untot, jedenfalls den Ärzten zufolge. Ihre Tests hatten unauffällige Ergebnisse erbracht: das grelle Leuchten der Taschenlampe in meine Augen und Ohren. Der Holzspatel, der meine Zunge hinunterdrückte. Der kalte Schreckensmoment, als das Stethoskop meinen Rücken berührte. Wie ich morgens aufzuwachen pflegte, dafür schienen die Ärzte allerdings keine Messgeräte oder Erklärungen parat zu haben: müde und orientierungslos, mit ausgetrockneten, schlaftrunkenen Augen. Seit letztem Frühling hatte ich kein einziges Mal das Gefühl gehabt, wirklich völlig aufgewacht zu sein.
»Diesen Jungen hast du nicht mehr getroffen, oder?«
Ich verschluckte mich an meinem Wasser. »Welchen Jungen?«
»Du weißt, von welchem Jungen ich rede.«
»Nein, weiß ich nicht.«
»Dante Berlin«, sagte mein Großvater mit Nachdruck. »Hast du dich mit ihm getroffen oder nicht?«
Bei Dantes Namen schnürte es mir die Kehle zusammen. Ich hatte seinen Namen schon so lange nicht mehr aus einem fremden Mund gehört, dass er mir fast wie ein Hirngespinst vorkam, eine Ausgeburt meiner Fantasie. »Nein«, sagte ich und wünschte, ich würde lügen. »Das hab ich nicht.«
Die Miene meines Großvaters versteinerte. »Gut. Wenn er in deine Nähe kommt, dann werde ich ihn begraben.«
Ich sank in meinem Stuhl zusammen.
Nein
!, wollte ich schreien, aber ich wusste, dass ich das nicht konnte. Nichts konnte ich
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