Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
Übrig blieben nur verstümmelte Stümpfe, die aus dem Schnee herausragten wie Grabsteine.
»Was ist hier passiert?«, fragte ich und beäugte einen Baumstumpf neben unseren Füßen, an dem ein Schildchen befestigt war. INSEKTENVERNICHTUNGSMITTEL stand darauf.
»Egal jetzt«, sagte Noah. »Komm, weiter.«
Erstaunlich, wie schnell manche Dinge zu einem zurückkehren. Als ich über den verschneiten Park zum See rannte und die Sonne glasig rot über die Bäume schien, war es für mich fast eine Zeitreise in den letzten Winter. Vor der versehrten Eiche hielt ich an, sog die eisige Luft ein und stellte mir vor, dass ich nach einem Treffen mit Dante auf dem Rückweg zum Wohnheim war. Welche Version der Vergangenheit war das? Hatte ich damals schon gewusst, dass Dante ein Untoter war? Und ich ein Wächter? Dass ich seine Seele hatte?
Die Dämmerung senkte sich über die Bäume, während Noah und ich auf den See zueilten. Er war völlig zugefroren und auf der unebenen Oberfläche schlitterten und rutschten meine Füße unter mir weg. Ich starrte auf die Maserung des Eises zu meinen Füßen, das aussah wie ein blau-weiß gestreiftes Bonbon, aber das Wasser darunter war nicht zu erkennen. Wonach suchte ich hier? Mir blieb nur die Hoffnung, dass ich es schon fühlen würde.
Fast hatte ich es zur Bärenstatue auf der anderen Seeseite geschafft, da hörte ich ein leises Krachen. Es war kaum der Rede wert; es hätte auch das Knarren eines Astes sein können oder ein Fenster, das irgendwo in der Ferne geschlossen wurde. Also stapfte ich weiter voran, trieb schnelle, kleine Atemwölkchen vor mir her, bis es plötzlich unter mir zu beben begann. Und bevor ich einen weiteren Schritt, bevor ich überhaupt noch einen Atemzug machen konnte, brach das Eis.
Schon sackte mir der Boden unter den Füßen weg, doch da packte mich Noah an der Hüfte und riss mich ans Ufer, wo ich neben ihm direkt auf dem Übergang von Schnee zu Eis landete. Ich ließ mich rücklings in den Schnee sinken, starrte in den grauen Himmel und wollte mich gerade bedanken, als ich es fühlte. Ein so leises Ziehen, dass es auch gar nichts hätte sein können. Nur war da etwas. Ich hatte es schon einmal gespürt, bei meinem Einstufungstest.
Noah grub die Hacken in den Schnee und stand auf, aber ich bewegte mich nicht. Ich schloss die Augen und ließ mich vom Luftfaden umwickeln, der mich hinabführte, hinab in die Tiefen des Sees.
Plötzlich wusste ich, was zu tun war. Ich warf meineTasche ab, setzte mich auf, öffnete meinen Mantel und zog ihn aus.
»Was tust du da?«, fragte Noah, während ich auf das Loch im Eis zuschritt.
»Da unten ist es. Ich kann es fühlen«, sagte ich und wickelte meinen Schal ab. »Etwas über drei Meter tief und dann ein bisschen nach links.«
»Du kannst da nicht rein«, sagte Noah. »Viel zu kalt. Da stirbst du.«
»Wie sollen wir sonst rankommen?« Ich wandte mich von ihm ab und stieg vom Ufer aufs Eis. Das Loch war gerade einen Meter entfernt. »Außerdem«, sagte ich und versuchte, das Zittern in meiner Stimme unter Kontrolle zu bekommen, »hier ist’s noch flach. So schlimm wird’s nicht sein.« Die Winterluft verwandelte meine Worte in Nebel.
»Renée, lass mich vorgehen«, sagte Noah hinter mir. Und bevor ich ihn abhalten konnte, hatte er seinen Mantel und das Jackett abgeworfen und zog an mir vorbei aufs Eis.
»Warte!«, rief ich und wollte ihn aufhalten, doch er hatte schon den Rand des Lochs erreicht. Mit einem letzten Blick, den er mir über die Schulter zuwarf, sprang er hinein. Keuchend durchschlug er die Wasseroberfläche und seine Arme peitschten noch einmal gegen das Eis, als er ins darunterliegende Wasser abtauchte.
»Noah?«, rief ich und suchte nach irgendeinem Lebenszeichen. »Noah?«, brüllte ich noch einmal, beugte mich über das Loch und steckte den Arm hinein. Ein schmerzhafter Kälteschock jagte durch meine Finger und betäubte sie. Ich rang nach Luft und zog sie zurück.
Jetzt war er schon fast eine volle Minute da drinnen. Gerade wollte ich ihm nachspringen, als er durch diedunkle Wasserfläche brach. Er packte die Eiskante, doch sie barst unter seinem Griff. Erleichtert, dass ich ihm nicht ins Wasser gefolgt war, schnappte ich mir seine Arme und zog.
»Hilf mir«, sagte ich, aber sein Körper wurde schon steif. Sein Hemd erstarrte um ihn herum. »Bitte, Noah. Du musst mir helfen.«
Irgendwo unter seinen Kleidern fühlte ich ein Muskelzucken. Dann hörte ich, wie seine Beine ins Wasser traten
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