Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
ausgeleuchtet. Ich spähte durch das verglaste Fensterchen in der Tür, um sicherzugehen, dass keine anderen Besucher da waren. Dann drehte ich den Knauf und trat ein.
In einem Krankenhausbett schlief ein kleiner Junge. Um die fünf Jahre war er wohl und nur Haut und Knochen. Als ich die Tür schloss, wälzte er sich unter der Decke. Auf dem Fensterbrett reihten sich die Blumen. Ich stellte meinen Strauß dazu und näherte mich dem Bett. Meine Augen suchten den Boden zu beiden Seiten ab. Er war aus cremefarbenem Linoleum. Der Spalt zwischen dem Bettgestell und dem Boden schien mir eben groß genug, um bequem meinen Arm hineinzustecken. Ich kniete mich hin, krempelte meinen Ärmel hoch und langte unters Bett.
Zunächst ertastete ich nichts, aber nach etwas Herumangeln streiften meine Finger etwas Kühles, Unregelmäßiges.Graviertes Metall. Erleichtert öffnete ich meine Tasche und holte ein Blatt Papier und ein Stück Grafit hervor. Ich ließ das Papier unter das Bett gleiten, bis es das Metall bedeckte, und rieb dann so geräuschlos wie möglich den Grafit über das Papier, um die Gravur zu kopieren.
Gerade als ich fertig war, öffnete sich die Tür mit einem Klicken. Ich stopfte das Papier in die Tasche zurück, stand auf und beugte mich über den schlafenden Jungen. Ich kannte noch nicht mal seinen Namen. Eine Schwester schob die Tür mit dem Ellbogen auf und hielt mir den Rücken zugewandt, während sie mit irgendwem auf dem Flur herumlachte und plauderte. Der Junge zitterte und drückte sich die Decke an seine Brust. Vorsichtig zog ich sie hoch und steckte sie um ihn fest. Über mir flimmerte die Leuchtstoffröhre und langsam wurde es dunkler, bis das Zimmer, der Junge und das Gelächter der Krankenschwester im Nichts versanken.
Ich erwachte in einem fremden Zimmer. Mein Gesicht war feucht und kalt. Ein eleganter Herr mit einer Sprühflasche in der Hand beugte sich über mich.
»Aha, da wären wir wieder«, sagte er mit rauer Stimme. »Verzeihen Sie, dass ich Sie hier mit Wasser besprühe, aber wir haben es schon eine ganze Weile mit Ammoniak versucht.« Er stellte die Flasche beiseite. »Sie scheinen keinen besonders ausgeprägten Geruchssinn zu haben.«
»Mal so, mal so«, sagte ich und setzte mich auf. Ich lag auf einer abgewetzten Ledercouch. Das Zimmer um mich herum bestand fast ausschließlich aus Mahagoni – der Boden, die Wände, die Möbel. Über einem Schreibtisch prangten mehrere Diplome und Zertifikate. Über dieStuhllehne war ein Arztkittel drapiert und an dessen Brusttasche steckte ein Namensschild. DR. NEUHAUS.
»Bin ich denn im Krankenhaus?«, fragte ich verwirrt. Ohne nachzudenken, klopfte ich mir die Taschen ab, auf der Suche nach dem Papier, auf dem ich den Abrieb vom Boden gemacht hatte.
»Sie sind am St. Clément.« Der Mann ließ sich in einen Sessel neben dem Sofa fallen. Sein Gesicht wirkte stumpf, fleischig und irgendwie ausdruckslos. Als er mich anstarrte, bemerkte ich, dass eines seiner Augen schief war, als ob es ihm seitlich vom Kopf wegrutschen würde. »Mein Name ist Dr. Neuhaus. Ich bin Ihr Psychologielehrer, auch wenn wir noch nicht das Vergnügen hatten. Außerdem bin ich der Schularzt.« Er öffnete eine Arzttasche und zog ein Stethoskop und eine Taschenlampe hervor.
»Da haben Sie uns ja ganz schön was abgeliefert«, meinte er, während er mich abhörte.
»Was soll das hei-«, begann ich, aber er brachte mich zum Schweigen.
»Seltsam.« Er senkte sein Stethoskop. »Ihr Herzschlag ist etwas unregelmäßig.«
»Das ist nur ein Herzgeräusch«, beeilte ich mich zu sagen. Das hatten die Ärzte schon im Sommer festgestellt. »Das hab ich schon eine Weile«, log ich.
Er beugte sich vor und lauschte noch einmal. Das Stethoskop war kalt unter meinem Hemd. »Das hier ist was anderes«, sagte er. »Es klingt fast wie der Rhythmus eines Untoten –«
Ich schnitt ihm das Wort ab. »Was, meinten Sie, ist mit mir passiert?«, fragte ich und entwand mich schnell.
Er hängte sich das Stethoskop wieder um den Hals undverschränkte die Hände in seinem Schoß. »Sie sind während Ihrer Geschichtsstunde kollabiert und wollten gar nicht mehr erwachen aus Ihrer Ohnmacht.«
Ich warf einen Blick auf die Uhr über seinem Schreibtisch. Seit Unterrichtsbeginn waren Stunden vergangen. »Was soll das heißen?«
»Ich hatte gehofft, das von Ihnen zu hören.« Er sah so gelassen drein, dass es mich ganz kribbelig machte.
Um ihm nicht länger in die Augen schauen zu
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