Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
müssen, richtete ich meinen Blick auf das Paisleymuster des Teppichs. Wie konnte ich von einem Krankenhaus träumen, in dem ich in Wirklichkeit nie gewesen war? Das alles war meinem Traum von Miss LaBarge erschreckend ähnlich gewesen.
Er musterte mich mit einem Auge, während das andere nach rechts abzuwandern schien. »Sie finden mich beunruhigend«, sagte er mit geschürzten Lippen. »Wegen dem hier.« Er deutete auf sein Auge. »Ich nehme Ihnen das nicht übel; das geht den meisten Schülern so.«
»Nein … ich, äh –«, stammelte ich und fühlte mich ertappt. »Das ist es gar nicht. Es ist nur, na ja …« Er wartete darauf, dass ich den Satz beendete, aber ich wusste nichts mehr zu sagen.
Seine Miene wurde sanfter. »Sie haben sich eben die Taschen abgeklopft. Vermissen Sie etwas?«
Den Durchrieb. Der Traum war mir beim Aufwachen so plastisch vorgekommen, dass ich dachte, ich hätte ihn noch in der Tasche. »Oh, das war … nichts.«
Er hob eine Augenbraue, beließ es aber dabei. »Wissen Sie von irgendwelchen Nervenleiden oder einem Hirntrauma in der Vergangenheit?«
»Nein.«
»Sind Sie schon einmal derart in Ohnmacht gefallen?«
»Nein.«
»Erinnern Sie sich an irgendwas, das dieses Ereignis heute Morgen ausgelöst haben könnte?«
Ich dachte an das Dia und wie überwältigend mein Bedürfnis danach gewesen war, hinter die Mauern dieses Gebäudes zu blicken. »Nein.«
Dr. Neuhaus ließ seinen Block sinken und versuchte, meinen Blick einzufangen, doch ich schaute weg. »Ich bin nicht Ihr Feind«, sagte er. »Ich bin hier, um Ihnen zu helfen.«
»Ich hatte in der Vergangenheit schon eine Menge schlechte Ärzte.«
»Verstehe«, sagte er. »Mir geht’s genauso. Deshalb habe ich auch beschlossen, selbst einer zu werden.«
Er lächelte und eines seiner Augen lag auf mir, während das andere zu den Bäumen jenseits des Fensters schweifte. Er wirkte vertrauenswürdig.
»Wissen Sie noch, was passiert ist, bevor Sie das Bewusstsein verloren haben?«, fragte er. Er schlug die Beine übereinander und gab den Blick auf zwei unterschiedlich gestreifte Socken frei.
Aus irgendeinem Grund beruhigte mich ihr Anblick. »Ich erinnere mich noch, wie Mr Pollet uns von der Gründung Montreals und von den Tunneln erzählt hat. Er hat uns Dias von ein paar alten Gebäuden gezeigt. Das letzte, das ich gesehen habe, war das Krankenhaus Royal Victoria, und dann ist alles schwarz geworden.«
Er leuchtete mir mit der Taschenlampe in die Augen und bat mich, von zehn rückwärts zu zählen. Als ich fertig war,fragte er: »Und von der Zeit dazwischen wissen Sie gar nichts mehr?«
Ich knetete meine Finger und dachte an meinen Traum von Miss LaBarge, an all den Schlaf, der mir fehlte, und an all die Morgen, an denen ich schweißnass aufgewacht war. Aber wenigstens hatten sich diese Träume auf die Nacht beschränkt. Mitten im Unterricht umzukippen war etwas anderes. Es war abnormal, machte mir einfach nur Angst. »Ich hab etwas geträumt«, sagte ich, den Blick auf meine Füße gerichtet. »Oder so was Ähnliches. Ich weiß es nicht genau.«
»Wovon?«
»Vom Royal-Victoria-Krankenhaus. Ich bin zu einem bestimmten Zimmer durchgegangen und hab nach etwas gesucht. Alles war so klar und detailliert, als ob ich dort schon mal gewesen wäre.«
»Und, waren Sie das?«
Ich schüttelte den Kopf.
Ich erzählte ihm vom Wartezimmer des Krankenhauses, vom Weg auf die Kinderstation, wie ich ins Zimmer des Jungen gegangen war und unter dem Bett den Durchrieb gemacht hatte.
Er sah konsterniert aus. »Das trifft alles erstaunlich genau zu«, sagte er. »Die Anlage, das Innere des Krankenhauses – alles korrekt. Sie sind ganz bestimmt noch nie da gewesen?«
Ich nickte.
Der Arzt runzelte die Stirn. »Haben Sie schon einmal solche Träume gehabt?«
Ich schluckte. »Ja, nachts. Und jedes Mal bin ich auf der Suche nach irgendwas.«
Er machte sich Notizen, während ich ihm von den Albträumen erzählte, die mich den ganzen Sommer heimgesucht hatten. Als ich fertig war, ließ er mich aufstehen und durchs Zimmer laufen. Dann prüfte er meinen Gleichgewichtssinn, meine Sehkraft und mein Hörvermögen.
»Körperlich scheint alles in Ordnung zu sein, abseits von Erschöpfung und Schlafmangel. Ich werde Sie für ein paar Untersuchungen anmelden, um sicherzugehen, dass organisch alles stimmt.« Er beugte sich zu mir. »Aber wenn ich offen sprechen darf, Sie haben letztes Jahr ziemlich viel durchgemacht und ich glaube,
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