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Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)

Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Woon
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sie anstarrte, ging es mir gleich besser. Es war, als sei ich noch am Gottfried.
    Doch das Wachs war noch nicht mal angeschmolzen, da fegte ein Windstoß durchs Fenster und löschte die Flamme. Bloß   – nach Wind hatte es sich eigentlich nicht angefühlt. Ich trat ans Fenster und jetzt trug der Wind einen Geruch herein, einen Geschmack, eine Feuchtigkeit, wie der kalte Atem von jemandem, den ich in einem früheren Leben gekannt hatte. Dante.
    Ich stolperte die Treppe hinunter und stob durch die Tür, wo die Mädchen noch auf dem Treppenabsatz standen. Clementine stemmte eine Hand in die Hüfte. »Hast du mir was zu sagen?«
    Aber ich hörte sie kaum. Sie konnte es nicht wahrnehmen, keine von ihnen konnte es. Am Schultor bremste ich ab, ging den Bordstein entlang; fühlte, wie der Windhauch um meine Knöchel spielte.
    Ich konnte Dante spüren, noch bevor ich ihn sehen konnte. Ein Prickeln kletterte mir die Beine empor, übernahm die Führung und auf einmal fädelte ich mich durch die Straßen Montreals, immer einem feinen Luftzug nach, der sich durch die Passanten auf dem Gehsteig wand und sie aus dem Weg drängte.
    Mit kribbelnder Haut zog ich vorbei an Metzgereien, Fischmärkten, einer Tierklinik und einem Bestattungsinstitut. Tiere, Menschen, seelenlos und leer, alle konnte ich siespüren   – manche stark, manche schwach; ihre Gegenwart packte mich am Kragen wie eine Geisterhand. Orientierungslos wirbelte ich herum. Die Ampel an der Kreuzung schaltete von Grün über Gelb auf Rot, während ich aus all den Straßen diejenige auszumachen versuchte, die mich zu Dante führte. Die Fußgängerampel sprang um und ein Pulk von Anzugträgern schob sich an mir vorbei.
    Ich musste einen Weg finden, all das auszublenden. Ich ließ die Arme schlaff hinunterbaumeln, schloss die Augen und konzentrierte mich ganz auf Dante, erinnerte mich daran, wie seine Gegenwart sich anfühlte   – ihre Schwere, ihre Struktur, die Art, wie ich mich in ihr zu verlieren schien   …
    »Alles okay mit Ihnen?«, fragte mich ein glatzköpfiger Mann mit Aktenkoffer und tippte mir auf die Schulter.
    Entnervt schob ich seine Hand fort und schloss wieder die Augen. Ich knöpfte mir die Strickjacke auf und ließ mir den Luftzug um die Brust wehen, bis schließlich alles um mich herum   – die Autos, die Leute, die Ampel und das Gebrüll, die flatternden Fetzen der Toten, die mich zu sich heranwinkten   – zu einem vagen Hintergrundgeräusch verschmolz.
    Vor einer bedrohlich aussehenden Kathedrale fand ich mich wieder. In Stein gehauene Heilige mit wettergeschwärzten Gesichtern säumten ihre Torbögen. Ich rannte die Stufen hinauf und stemmte mich gegen die Tür, bis sie sich mit einem Klagelaut öffnete. Der Eingang war von Teelichtern gesäumt. Eine Handvoll Betender saß mit gebeugten Köpfen über die Bänke verteilt. Die Fenster färbten das Licht rot, blau, lila und gold. Niemand blickte auf, als ich Dantes Gegenwart folgte, durch das linke Seitenschiff hin zu einem Erker hinter dem Altar.
    An den Wänden hingen Dutzende von ausgeblichenen Wandteppichen in Form alter Landkarten. Ich steuerte auf eine zu, die den Weg von der Erde ins Jenseits darstellte, ein Segelboot auf der Reise zur ausgefransten Kante und darüber hinaus. In der abgestandenen Kirchenluft bauschte sich der Wandteppich plötzlich auf.
    »Dante?«, wisperte ich und strich mit der Hand über den schweren Stoff, fühlte das raue Material unter meinen Fingerspitzen. Aber es war nur ein Windzug gewesen. Ich folgte der Strömung zu einer Tür, die auf einen üppigen, überwucherten Friedhof hinausführte. Seine Mauern waren unter den blühenden Kletterpflanzen nur noch zu erahnen.
    Der Wind blies Muster ins welke Gras, bis es sich zu einer Art Pfad legte. Ich machte einen Schritt, dann noch einen und einen weiteren, um einen versiegten Brunnen herum und der hinteren Ecke des Friedhofs entgegen, wo sich ein Junge über ein Grab beugte.
    Ich hielt hinter einem Baum an und beobachtete ihn, von Unbehagen gepackt. War er es oder jemand anders? Dieser Junge sah älter aus, größer, eher wie ein Mann   – viel älter als siebzehn Jahre. Seine Schultern traten hervor, als wären sie zu breit für seinen Körper, und sprengten fast sein weißes Hemd. Sein langes dunkles Haar war zu einem unordentlichen Knoten gebunden, er richtete sich auf und eine Haarsträhne löste sich daraus.
    Wie elektrisiert wartete ich, bis er sich umdrehte. Und als er es dann tat, war er vertraut und

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