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Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)

Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Woon
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dem sich die Wächter während ihrer Ausbildung verpflichten müssen. Er stellt unsere Verfassung dar, unseren ethischen Standard, unsere
déclaration des droits.
«
    Ethischer Standard? Ich war wirklich die Letzte, die dashier laut vorlesen sollte. Ich sah ihn an und wehrte kopfschüttelnd ab, aber er lächelte nur wieder und reichte mir eine Papierrolle. »Wenn Sie bitte Renée nachsprechen.«
    Ich konnte die sengenden Blicke meiner Flurnachbarinnen geradezu spüren. Ich versuchte, meine zitternden Hände zur Ruhe zu zwingen, und entrollte den Bogen.
    »Nur weiter«, sagte der Rektor sanft.
    Ich räusperte mich. »Als Wächter schwöre ich bei O-Osiris «   – hier brach mir die Stimme   – »dem Gott des Gerichts und des Jenseits, nach meinen besten Fähigkeiten alle Menschen innerhalb von zehn Tagen nach ihrem Tod zu begraben, um ihre Wiederauferstehung zu verhindern, auch wenn der Verstorbene mein Sohn ist, meine Tochter, mein Geschwister, Freund   – oder   … Geliebter«, sagte ich schließlich und leistete innerlich Abbitte bei Dante, während meine Schulkameraden dröhnend meine Worte wiederholten.
    »Erspüre ich einen Untoten, so will ich ihn finden und den Grad seines Verfalls feststellen«, fuhr ich fort. Meine Augen trafen die von Brett, der meine Worte wiederholte und mir aufmunternd zulächelte.
    »Sollte er wild sein, gefährlich oder dem totalen Verfall nahe, so werde ich mich bemühen, ihn einzufangen und dem Wächterhochgericht zu Untersuchung und Rechtsprechung vorzuführen.«
    Aus der Mitte des Raums starrte mich Clementine mit vor Eifersucht verzerrten Gesichtszügen an.
    »Niemals werde ich einen Untoten begraben, bevor er nicht des Mordes für schuldig befunden wurde oder mich   – mich«   – der Rektor nickte mir auffordernd zu   – »in Lebensgefahr gebracht hat.«
    Als die Stimmen verstummten, rollte ich den Bogen noch weiter aus und fuhr fort. »Begrabe ich einen Untoten, so geschieht das rasch, schmerzlos und in Übereinstimmung mit dem Wächterritual, ohne Rachegedanken oder Brutalität.
    Niemals werde ich mich Plebejern oder Untoten zu erkennen geben. Zuletzt erkenne ich an, dass jedes Lebewesen auf Erden die Fähigkeit hat, Schmerz zu verursachen, auch die Wächter, und dass ich meine Macht und Ausbildung mit der gleichen Vorsicht und Bedachtnahme einsetzen werde, wie sie meinem eigenen Leben entgegengebracht werden.«
    Nachdem wir den letzten Satz gesprochen hatten, löste sich im Saal die Anspannung. Ohne ein weiteres Wort gab mir Rektor LaGuerre mit einer kleinen Verbeugung zu verstehen, dass ich mich setzen durfte, und bald schwirrten im Saal wieder die Gespräche.
    Als wir nach dem Essen in einer langen Reihe den Speisesaal verließen, teilte sich die Menge um mich herum. Ich versuchte, mich darunterzumischen, die Brosche an meinem Kragen unter meinem Schal zu verbergen. Im Eingangsbereich des Wohnheims stapelten sich die Mädchen, die alle versuchten, einen Blick aufs Schwarze Brett zu erhaschen.
    »Was ist hier los?«, fragte ich ein Mädchen am Treppenaufgang. Bei meinem Anblick zuckte sie zusammen, als würde ich ihr Angst einjagen. »Das ist die Klassenrangliste. Die ist gerade aufgehängt worden, zusammen mit den Stundenplänen.«
    In diesem Moment kam Clementine LaGuerre hereingestürzt, warf mir einen vernichtenden Blick zu und stob anmeiner Schulter vorbei die Treppe hinauf. Ich arbeitete mich nach vorn durch und durchforstete einen Ordner mit Stundenplänen, bis ich auf das Blatt mit meinem Namen stieß. Darauf stand:
     
    WINTERS, RENÉE: LEHRPLAN FÜR DAS DRITTE SCHULJAHR
    Geschichte der Wächter
    Strategie und Prognose
    Kinderpsychologie
    Französisch
    Aufbaukurs Latein
     
    Ich überflog die Klassenrangliste, bis ich meinen Namen fand.
    Winters, Renée.
Nummer eins. Immer noch fassungslos starrte ich auf das Blatt. Aus reiner Neugier suchte ich nach
LaGuerre, Clementine.
Sie war Nummer zwei.

Viertes Kapitel

Das Royal-Victoria-Krankenhaus
     
     
    S onnenlicht durchströmte die Flure an jenem kühlen Septembermorgen, als ich über drei Treppenfluchten hoch zu meiner ersten Unterrichtsstunde des Semesters eilte. Geschichte der Wächter. Das Klassenzimmer hatte eine Balkendecke und Tauben schliefen mit geblähter Brust auf den Fensterbrettern. Ich beneidete sie. Das ganze Wochenende hatte ich kein Auge zugetan, und da ich auch niemanden zum Reden hatte, waren meine Tage zäh und ziellos geworden wie ein Traum. Ich setzte mich und sah zu, wie hinten im

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