Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
»Sie wurden umgebracht. Jede Einzelne von ihnen ist zu Hause ermordet worden, im Frankreich des Jahres 1732. Und so sind ihre Identitäten gelüftet worden.«
Madame Goût wies auf die Namensliste an der Tafel und das Klassenzimmer wurde von einem Raunen erfüllt.
Doch als wir die Namen an der Tafel studierten, sagte lange Zeit niemand etwas.
»Das sind aber nur acht Namen«, brach ich das Schweigen. »Wer war die neunte Schwester?«
»Ach ja. Die neunte Schwester. Ich habe Ihnen gesagt, dass alle Schwestern in ihrem Haus ermordet wurden. Aber es wurden nur acht Leichen gefunden.«
»Was ist mit der neunten passiert?«, fragte Clementine.
»Das weiß keiner. Manche glauben, sie sei gestorben. Andere sind der Meinung, dass sie sich das Geheimnis zunutze gemacht hat. Dass sie am Leben geblieben ist, um das Geheimnis vor dem Bösen zu bewahren.«
Madame Goût machte eine dramatische Pause. Die Zeiger der Wanduhr über ihrem Kopf krochen Richtung zwölf.
»Niemandem ist es je gelungen, ihren Namen oder auch nur irgendeinen Anhaltspunkt zu ihrer Identität herauszufinden. Wenn man von dem hier absieht.« Mit klappernden Absätzen schritt sie zu ihrem Pult und zog einen dicken Wälzer aus der untersten Schublade. Sie blätterte ihn kurz durch, schlug ihn dann bei der Reproduktion eines Gemäldes auf und reichte das Buch am Tisch herum.
»Das ist das einzige Bild, das wir von den Neun Schwestern besitzen. Viele glauben, dass es nur Tage vor ihrem Tod fertiggestellt wurde. Es ist sehr berühmt; Sie finden es in jedem Buch über Les Neuf Sœurs.«
Als ich an die Reihe kam, ließ ich meinen Finger über jede einzelne der Sœurs gleiten. Sie standen in einer Art Wohnzimmer, in schlichte Hauskleider gehüllt, doch ihre schwarzen Augen bohrten sich geradezu durch das Blatt.Sie waren von unterschiedlichem Alter, manche in ihren Zwanzigern, andere nicht viel älter als ich. Ganz links stand ein Mädchen mit brauner Wuschelmähne und schmalen Augen. Sie schien die Jüngste zu sein. Eine Gesichtshälfte war ganz in Schatten getaucht. Auf ihrem Arm hockte ein gelbes Vögelchen.
»Das Mädchen links«, sagte Madame Goût. »Das ist die neunte Schwester. Die verschwundene Schwester. Viele Wächter haben nach ihr gesucht, aber keiner kannte mehr als die Hälfte ihres Gesichts, aus diesem Porträt. Und nach vielen fruchtlosen Jahren hat man schließlich allgemein angenommen, dass sie tot war.«
»Wer hat das getan?«, fragte Anya. »Wer hat sie ermordet?«
»Die Feinheiten werde ich Monsieur Orneaux überlassen. Ich denke, das ist sein Spezialgebiet. Schließlich ist Latein die Sprache der Untoten.« Sie beugte sich über ihr Buch und blätterte um. »Und nun zurück zum
française.
«
»Der Untoten?«, stieß ich heraus. »Untote haben sie umgebracht?«
»Papperlapapp«, sagte Madame Goût und hob einen warnenden Finger. »Das habe ich nie gesagt.«
»Aber wie kommt es, dass nie jemand nach dem Geheimnis gesucht hat?«, forschte Clementine.
»Natürlich hat man das getan. Es handelt sich um eine der umstrittensten Episoden in der Geschichte der Wächter. Zahllose Wächter haben Jahre ihres Lebens dafür geopfert, nach
La Vie Éternel
zu suchen, dem ewigen Leben. So nennen viele von uns ihr Geheimnis. Für die Wächter ist das wie die versunkene Stadt Atlantis. Der Heilige Gral. Der Quell der ewigen Jugend.« Madame Goût schüttelteden Kopf. »Und Sie wissen ja selbst, wie viele von denen sich als wahr entpuppt haben.«
In der Klasse setzte heftiges Geflüster ein.
»Ruhe bitte«, sagte sie und klopfte mit ihren Knöcheln auf den Tisch. »Das waren für heute genug der
futilités
.«
Während sie mit ihrem Vortrag über Pronomina und Genera fortfuhr, musste ich an meinen Flug mit Dustin denken, als ich einfach mit dem Wort
Kanarienvogel
herausgeplatzt war. Konnte das etwas mit den Neun Schwestern zu tun haben?
Als ich mir an jenem Abend im Speisesaal ein Glas Milch einschenkte, kitzelte mich plötzlich eine Stimme im Ohr. Vor Schreck ließ ich beinahe den Tetrapak zu Boden fallen.
»Du hast aber heute verdammt interessiert gewirkt, als es um die Neun Schwestern ging«, flötete mir Clementine über die Schulter. »Da frag ich mich natürlich, wieso jemand, der den Tod bereits überwunden hat, dermaßen fasziniert ist von einem Gespräch über das Geheimnis der Unsterblichkeit?«
»Und was möchtest du jetzt gerne von mir hören? Dass ich ein ganz stinknormaler Mensch bin und all die Gerüchte nur
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