Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
mir auf.
»Du bist warm«, sagte ich, die nur Dantes Kälte gewöhnt war.
Er musterte mich. »Und du bist das Mädchen, das nicht sterben kann.«
»Du bist auf dem St. Clément?«, fragte ich überrascht.
»Ich sitze drei Plätze neben dir in Geschichte. Und wir haben zusammen Strategie und Prognose, und Latein. Ich hab dir heute die Tür aufgehalten?!«
»Oh.« Ich wurde noch röter, denn jetzt erinnerte ich mich an sein Gesicht. Ich kannte ihn sonst nur von der Seite.
Er grinste. »Schon okay. Du bist die Berühmtheit von uns beiden.«
Ich sah weg und wischte mir den Rock ab. »Das ist nur Gerede.«
»Oder vielleicht hat deine Unsterblichkeit auf mich abgefärbt.«
Ich lächelte. »Dann hab ich jetzt wohl was gut bei dir.«
»Was hast du gut?«
»Das weiß ich erst, wenn ich’s will.« Die Worte kamen ganz automatisch aus meinem Mund. Was redete ich da? Flirtete ich etwa mit diesem Jungen?
»Abgemacht.«
»Ich heiße übrigens Renée«, sagte ich.
»Noah Fontaine.«
Er streckte die Hand aus, doch ich zögerte, starrte nur darauf und musste an Dante denken. »Oh, Verzeihung«,sagte er, betrachtete seine Schürfwunden und rieb sich die Hand an seiner Jeans ab.
Ich blickte stur auf meine Füße und zwirbelte an den Knöpfen meiner Bluse herum.
Er bückte sich und las seine Tasche und den kläglichen Rest seines Blumenstraußes auf, der überall um uns herum verteilt lag.
»Tut mir leid mit den Blumen«, sagte ich.
»Oh, schon in Ordnung. Wird ihr wahrscheinlich gar nicht auffallen«, meinte er und hob einen welken Stängel auf.
Und obwohl ich bis vor Sekunden noch nicht einmal gewusst hatte, dass es diesen Jungen überhaupt gab, sank mir das Herz beim Gedanken an das Mädchen, für das er da gerade die Blumen aufsammelte.
Er richtete sich auf. »Glaubst du ans Schicksal?«, fragte er.
»Nein«, antwortete ich sofort und dachte dann noch mal nach. »Na ja, vielleicht.«
»Das hab ich auch grad gedacht«, sagte er. Und mit der Eleganz einer Katze hob er sein Fahrrad auf und strampelte davon, mit einem letzten Grinsen über seine Schulter, bevor die Menge ihn verschluckte.
Sechstes Kapitel
Les Neuf Sæurs
F ranzösisch, so sagte Madame Goût, war eine unregelmäßige Sprache, eine geheimnisvolle Sprache, die Sprache der Wächter. Bei fast jedem Wort blieben die letzten drei Buchstaben stumm, was den seltsamen Effekt hatte, dass alle Wörter gleich klangen, egal, was sie bedeuteten. Alles drehte sich nur um Betonung, Aussprache, Darbietung, als wäre die ganze Sprache nicht mehr als eine Maske, hinter der sich ein jeder zwischen den anderen verbergen konnte.
Die anderen Mädchen nannten es romantisch, aber ich fand es einfach nur unaufrichtig. Dantes Latein gab mir das Gefühl, seine Liebe sei althergebracht und zeitlos, als könne sie niemals sterben. Ich merkte zunächst nicht, dass auch das Französische Tiefe hatte; der Trick bestand darin, die Worte zu hören, die nicht gesprochen wurden.
Unser Klassenzimmer lag unter dem Dach, wo es drückend heiß war,
comme un état Vichy
, wie unsere Lehrerin scherzte. Sie meinte, es könne unserer kehligen Aussprache nur förderlich sein.
Madame Goût war eine schlanke Mittfünfzigerin, diehohe Absätze und Kleider mit breiten Gürteln trug. Zwischen ihren Vorderzähnen klaffte eine große Lücke und sie sprach mit schwerem frankokanadischem Akzent. Ihr Lieblingswort war
»Non«
, was so entschieden vorgebracht wurde, dass wirklich keiner über die eigenen Fehler im Unklaren blieb.
»Im Lateinischen gibt es einfach zu viele Zeiten und Fälle. Da muss man viel zu viel nachdenken«, sagte sie unter wildem Gestikulieren. »Da steckt keine Liebe drin, kein Gefühl, keine
joie de vivre
! Aus dem Französischen quillt das einfach nur so heraus.«
Das Gurgeln in den Heizkörpern untermalte Madame Goûts Vortrag. Anya neben mir schrieb eifrig mit und schob sich immer wieder die roten Zöpfe zur Seite, wenn sie ihrem Stift im Weg herumbaumelten. Während die Lehrerin eine Liste von Pronomina an die Tafel schrieb, hörte ich, wie Clementine mit zwei Freundinnen tuschelte.
Madame Goût war das ebenfalls nicht entgangen, denn sie legte ihre Kreide ab und drehte sich auf klappernden Absätzen um. »Wenn Sie schon während meines Unterrichts herumflüstern müssen, hätte ich es gern, wenn Sie uns alle teilhaben ließen.«
Clementine wand sich auf ihrem Stuhl und sah Hilfe suchend zu ihren Freundinnen.
»Bitte, wir warten«, sagte die
Weitere Kostenlose Bücher