Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
Anya und ich überquerten gerade den Schulhof, da zupfte eine Hand an meinem Ärmel. Clementine – eben hatte ich ihre Stimme gehört. Ich wirbelte herum. »Fass mich nicht an.« Doch vor mir stand Noah.
Er machte einen Schritt rückwärts und zog seine Hand zurück. »Tut mir leid. Ich wollte dich nicht belästigen.«
»Oh.« Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust. »Ich dachte, du wärst …« Ich unterbrach mich, bevor ich ihren Namen in den Mund nehmen musste.
»Ah.« Er wusste sofort, wen ich meinte. »Klar. Also, ich wollte mich nur …«
»Du musst dich nicht für sie entschuldigen. Ich kann schon allein auf mich aufpassen.«
Noah schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »… mich für mein Verhalten entschuldigen«, sagte er. »Ich hätte das alles nicht sagen sollen. Ich weiß nichts über den Typen oder wie er zu dir ist. Das hat mich einfach kalt erwischt.«
Ich kaute auf meiner Lippe und nickte. »Mir tut’s auch leid. Ich wollte nicht –«
»Keine Sorge«, sagte er. »Ich weiß schon.«
Der Nieselregen besprenkelte seine Brille. »Ich wollte dich auch fragen, was du am Freitag machst.«
»Freitag?« Obwohl ich keinerlei Pläne hatte, tat ich so, als müsse ich nachdenken. Alles andere wäre zu peinlich gewesen. »Weiß ich jetzt nicht. Muss ich erst nachschauen.«
Er zögerte, als sei er nervös. »Hättest du …«, fuhr er gedehnt fort, »eventuell Interesse daran, bei mir zu Hause zu Abend zu essen?«
»Bei dir zu Hause? So richtig mit deinen Eltern?«, fragte ich, überrascht und irgendwie geschmeichelt.
»Ja.« Er lächelte amüsiert. »Warst du noch nie mit irgendwem bei den Eltern zum Essen?«
Nein, noch nie – unangenehm, aber wahr. Zumindest nicht bei einem Jungen zu Hause. Dante hatte keine Eltern und davor … nun ja, an mein Leben davor konnte ich mich kaum noch erinnern. Der Gedanke, mit Noahs Eltern am Tisch zu sitzen, war so altmodisch, so normal, dass er mir richtig seltsam vorkam.
»Ich gehe jeden Freitag nach Hause, und so reizend meine Eltern auch sind, ich glaube, diese Woche steh ich keinen ganzen Abend allein mit ihnen durch. Wenn du dabei bist, könnte es vielleicht sogar lustig werden.« Er musste mir meine inneren Kämpfe angesehen haben, denn er fügte hinzu: »Erbarmst du dich?«
»Und was ist mit Clementine?«
Noahs Grübchen verloren sich gemeinsam mit seinem Lächeln. »Was soll mit ihr sein?«
»Sie ist deine Freundin. Solltest du nicht sie mitbringen?«
Er kratzte sich am Kopf. »Richtig, aber … wir haben unsverkracht.« Er schob sich die Hände in die Taschen. »Und außerdem will ich dich fragen.«
Wieder biss ich mir auf die Lippe. »Oh, wie nett, aber –«
»Bestens«, grinste er breit. »Das werte ich dann als Zusage. Um sechs am Tor.«
Am Freitag verbrachte ich eine ganze Stunde damit, vor dem Badezimmerspiegel Kleider anzuprobieren, bis ich mich endlich für ein Outfit entschied, das »nur Freunde« zu sagen schien.
»Was treibst du da drinnen?«, kreischte Clementine durch die Tür. Ich war schwer versucht, ihr das mit dem Essen bei Noah unter die Nase zu reiben, aber das erschien mir dann doch zu grausam.
Noahs Eltern wohnten in einer wunderschönen Stadtvilla aus Klinkerstein drüben in Outremont. Wir nahmen die Metro. Sie war völlig überfüllt und immer wieder rutschte Noahs Hand von der Haltestange ab und streifte meine.
Sein Vater öffnete die Tür. Über seinem Anzug trug er eine Schürze. Er war füllig, ohne dick zu sein, mit runden Wangen und einem braunen Haarschopf, der ihm oben auf dem Kopf klebte wie ein Toupet. Noah erkannte ich gar nicht in ihm. In der Hand hielt er ein Glas Rotwein. »Ah, hallo!«, lächelte er und sein Gesicht wurde ganz rot vor Freude, als er Noah umarmte. Am kleinen Finger trug er einen schweren Ring.
»Dad, das ist Renée.«
»Luc.« Er drückte mir die Hand und winkte uns dann hinein.
Im Haus der Fontaines herrschte ein gemütliches Chaos – überall Orientteppiche, stapelweise Politikmagazine undBücher. Auf einer Seite des Wohnzimmers thronte ein Aquarium voll winziger getupfter Fische. Sie sahen aus wie aus Zeitungspapier.
Aus der Küche war Tellergeklapper zu hören und kurz darauf trat eine hochgewachsene Frau mit einer Servierplatte voller Fleisch auf den Flur.
»Ah, und hier haben wir meine Veronica«, sagte Luc, drehte sich zu Noahs Mutter und legte ihr seine Hand auf den Rücken.
Sie sah genauso aus wie Noah: groß, kantig, von
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