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Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)

Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Woon
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sagte ich. »Aber das würde dir auch nicht helfen, weißt du. Er hat nicht deine Seele.«
    »Das weiß ich«, sagte sie. »Ich hab nicht nachgedacht. Ich war nur so sauer. Als hätte ich keine Zeit mehr. Seine Seele würde mir mehr Zeit schenken.«
    Und ich, ich empfand genauso. Dante blieben nur noch fünf Jahre. Und auch wenn ich es Eleanor gegenüber nie zugegeben hätte: Seit jener Lateinstunde, in der uns der Lehrer vom Liberum und ihren Überlebensmethoden erzählt hatte, war dieser schreckliche, verbotene Gedanke immer wieder in mir hochgekommen, so sehr ich ihn auch unterdrücken mochte. Wenn das Liberum Seelen raubenkonnte, um damit Lebenszeit zu gewinnen, dann konnte Dante das auch. »Ich weiß, was du fühlst«, sagte ich. »Aber ich frag mich, ob es sich nicht immer so anfühlen wird, als hätten wir nicht genug Zeit   – selbst wenn wir achtzig werden.«
    »Nicht für mich«, sagte sie. »Als ich klein war, hab ich mich immer geschminkt und mir ausgemalt, wie ich wohl aussehen würde, wenn ich älter bin. Aber wenn ich mir das jetzt vorstellen will, schaffe ich’s einfach nicht.«
    Ich musste lächeln, weil mir einfiel, wie sie sich am Gottfried jeden Abend mit dieser teuren Creme eingeschmiert hatte. »Du warst total besessen von Falten.«
    »Bin ich immer noch«, sagte sie. »Nur jetzt   – jetzt will ich sie haben.«
     
    Eleanors Worte hallten mir noch immer durch den Kopf, als Rektor LaGuerre uns zu einem kleinen Wäldchen außerhalb der Stadtgrenze kutschierte. Es war ein grauer Novembernachmittag und Frost überzog die kahlen Bäume. Wir ratterten über eine Holzbrücke, aber Clementines Kopf vor mir lag ruhig auf Noahs Schulter. Ich musterte ihren Schwanenhals, ihr kurzes, gewelltes Haar, und versuchte mir vorzustellen, wie sie wohl in einundzwanzig Jahren aussehen würde, wie Noah aussehen würde. Eleanor würde dann schon tot sein.
    Seit unserem Streit am Flussufer herrschte zwischen Noah und mir Funkstille. Obwohl ich meine Worte inzwischen schwer bereute, war ich immer noch aufgebracht. Wie konnte er sich einfach so ein Urteil über mein Leben anmaßen? Und noch schlimmer: Was, wenn er mit seinem Urteil recht hatte?
    Wir hielten am Straßenrand und schleppten unser Werkzeug zu einer schneebestäubten Waldeslichtung.
    »Um ein wirklich großer Wächter zu werden, müssen Sie Bestattungsrituale als Kunstform begreifen«, sagte der Rektor. »Zur Bestimmung des Bodens sollten Sie nicht mehr tun müssen, als ihn in der Hand zu zerreiben. Sie müssen die tiefsten Löcher graben, die haltbarsten Särge zimmern und die Toten so einwickeln, als drapierten Sie feinste Seide um eine Schaufensterpuppe.
    In unserer heutigen Übung werden Sie einen Scheiterhaufen errichten. Sie werden alleine arbeiten und sich Ihre Materialien im Wald zusammensuchen. Am Ende der Stunde werden wir sie gemeinsam in Brand setzen.« Er rollte eine Leinentasche auf und reichte jedem von uns eine Axt. »Einen guten Scheiterhaufen erkennt man an folgenden Merkmalen: Erstens, er muss sich rasch entzünden und die Flamme halten. Zweitens muss er stabil genug sein, um das Gewicht eines menschlichen Körpers zu tragen, ohne zusammenzubrechen. Drittens sollte die Rauchentwicklung so gering wie möglich sein. Es ist niemals opportun, mit einem Scheiterhaufen auf sich aufmerksam zu machen.«
    Als er fertig war, verteilten wir uns und rannten in den Wald, um so viel Holz wie möglich zu sammeln. Ich kam an Anya vorbei, die Zweige von einer Birke abschlug, an Brett, der sich an einem morschen Nadelbaum zu schaffen machte, an April und Allison, die anscheinend entgegen der Anweisung des Rektors ein Gemeinschaftswerk lieferten. Zu meiner Rechten strich Clementine um die Bäume und bahnte sich mit Axtschwüngen einen Weg durchs Unterholz.
    Ich sammelte nur trockenes Holz, das ich vom Waldboden auflas, und häufte es auf meinen Platz in der Lichtung.
    Gegenüber krempelte sich Noah die Ärmel hoch, zerbrach einen Ast über dem Knie und begann, seine Holzstücke ineinanderzuflechten. Seine Hände bewegten sich so schnell, als säße er an einem Webstuhl.
    Ich hatte keinen wirklichen Plan; ich bückte mich und stapelte das Holz paarweise, fädelte die Stücke ineinander, bis sie die Basis einer Wendeltreppe bildeten.
    Neben mir werkelte Clementine. Ihre Jacke hatte sie auf den Boden geworfen und auf ihrer Bluse zeigten sich Schweißränder. Auf Zehenspitzen schlich sie um einen Haufen Reisig, der jedes Mal in sich zusammenstürzen wollte,

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