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Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)

Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Woon
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Lieblingsfach«, sagte ich zögerlich.
    Ich musste sehr verwirrt dreingeblickt haben, denn Noahs Vater sagte: »Ach, ich dachte nur, weil du dich so sehr für mein neues Buch interessierst.«
    »Was interessiert dich denn jetzt?«, wollte Noahs Mutter wissen.
    »Äh   – ich kann’s nicht genau sagen«, meinte ich. »Vielleicht, die Untoten zu unterrichten? Ihnen irgendwie zu helfen?«
    Noahs Mutter stieß ein Lachen aus, als hätte ich einen Witz gemacht. Doch als sie begriff, dass es mir ernst war, wiederholte sie: »Ihnen helfen? Aber wieso?«
    Ich erstarrte. »Was meinen Sie damit?«
    »Nun, sie haben keine Seele. Denen ist nicht zu helfen.«
    Ich spürte, dass Noah meinen Blick einfangen wollte, aber ich wich ihm aus.
    »Das ist nicht wahr«, sagte ich. »Am Gottfried   –«
    Bei der Erwähnung meiner alten Schule stöhnte Noahs Mutter auf. »Ach, dieser Ort. Schon seit Jahren wollen wir sie dazu bringen, den endlich zu schließen. Die Untoten Menschlichkeit lehren. Unmöglich!
Enfants terribles,
das sind sie, mehr nicht.«
    Ich umklammerte das Käsemesser so fest, dass meine Knöchel ganz weiß wurden. Gerade holte ich zu einer Antwort aus, als Noah dazwischenfuhr. »Viele ihrer Freunde sind am Gottfried«, sagte er. »Sie stehen ihr sehr nahe.«
    Fassungslos wischte ich mir den Mund mit meiner Servietteab. Glaubte er wirklich, dass meine Meinung über die Untoten bloß auf Befangenheit gegenüber meinen Freunden beruhte?
    »Manchmal frage ich mich«, brach es aus mir heraus, »ob die Wächter wirklich die Menschen vor den Untoten beschützen oder ob sie einfach nur Leute umbringen.«
    Noahs Mutter hustete und über den Tisch senkte sich Schweigen.
    »Was wir tun, ist eine Art von Kunst«, sagte sie schließlich, weit weniger freundlich als vorher.
    »Aber wo ist der Unterschied?« Ich versuchte, meine Empörung im Zaum zu halten.
    »Wir sind zivilisiert. Wir haben eine Rechtsordnung, Schulen, ein System. Die Untoten dagegen, die sind   –«
    »Sind was?«, fragte ich, weil ich wusste, was jetzt kommen würde. »Monster? Mörder?«
    »Okay!«, fuhr Noahs Vater dazwischen. »Wollen wir uns jetzt das Porträt ansehen?« Nervös huschte sein Blick zwischen mir und seiner Frau hin und her und er tupfte sich mit der Serviette die Stirn ab.
    »Klar«, sagte ich und versuchte, mich abzuregen.
    Luc hievte sich in die Senkrechte und verschwand durch eine Tür. Mit einem großen Umschlag kehrte er zurück.
    »Alles in Ordnung?«, flüsterte Noah.
    Ich stocherte in meinem Käse herum. Warum war er nicht eingeschritten, als seine Mutter so über die Untoten geredet hatte? War er der gleichen Meinung? »So weit.«
    Noahs Vater schob die Teller beiseite, zog ein Bild aus einem Umschlag und legte es vor uns aufs Tischtuch. Es war eine verblasste Schwarz-Weiß-Zeichnung, ein Porträt von den Schultern aufwärts, die Striche stumpf vom Alter.
    Aus großen, schwarzen Augen starrte uns aus dem Bild eine Frau entgegen. Oder war es überhaupt eine Frau? Schwer zu sagen. Sie sah eher aus wie eine Kreatur, eine Laune der Natur, in deren Missgestalt echte Schönheit lag. Schwielige Narben krochen ihre Wangen hoch. Ihre Miene war finster und konzentriert, als entginge ihr rein gar nichts an mir. Mit ihren geschürzten Lippen schien sie mir zu vermitteln, dass sie etwas wusste, das mir verborgen war.
    »Das ist nach ihrer ersten wissenschaftlichen Veröffentlichung entstanden. Sie muss damals in ihren Dreißigern oder Vierzigern gewesen sein.«
    Sie sah viel jünger aus, fand ich, obwohl ihr Alter schwer zu schätzen war. »Sie ist   … Furcht einflößend«, sagte ich beeindruckt.
    »Oui«,
sagte Noahs Mutter und stützte ihren Kopf auf zwei Fingern.
»C’est incroyable.«
    »Die sehen aus wie Wellen, nicht wahr?«, fragte Luc und berührte ihre Narben mit den Fingern. »Ich glaube, das kommt vorn aufs Buchcover.«
    »Wie wird es denn heißen?«, fragte ich. »Ihre Biografie.«
    »Mal de Mer.«
    Seekrankheit.
     
    Bevor wir gingen, eilte Noah ins Obergeschoss, um ein paar frische Hemden für die Schule einzupacken. Auf halber Strecke lugte er durchs Geländer zu mir herab. »Na, komm schon rauf.«
    Der Treppenaufgang war gesäumt von Bildern des heranwachsenden Noah und seiner Schwester. Ein fünfjähriger Noah, in übergroßem Hemd und Krawatte vor dem St. Clément, als würde er schon mal für den Schulbesuchüben. Ein zehnjähriger Noah, der mit seiner Schwester vor dem Friedhof posierte. Ein ernst dreinblickender Noah,

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