Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
weil ich mich nach dem unendlichen Leben sehnte oder mich auf irgendeine sagenhafte Suche begeben wollte. Aber wären Noah und ich sonst überhaupt Freunde geworden? Was war da zwischen uns außer diesem Geheimnis und der Faszination, die die Aufdeckung bisher unerforschter Dinge so mit sich brachte? Natürlich fand er mich aufregend. Das Problem war nur: Die Renée, die er toll fand, war nicht wirklich ich. »Vielleicht in einem anderen Leben«, sagte ich.
Zurück in meinem Zimmer knipste ich das Licht an und plumpste auf mein Bett. So verloren hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Die Seite meines Mantels, gegen die Noah sich bei unserer Rückfahrt in der Metro gelehnt hatte, schien immer noch warm.
»Wie hast du’s angestellt?«, sagte eine Stimme hinter mir.
Ich purzelte fast von der Matratze.
Clementine lachte verächtlich auf. Sie saß an meinem Schreibtisch, ihre schlanken Beine in meinem Sessel ineinandergefaltet wie ein Reh.
»Was machst du in meinem Zimmer?« Ich schnappte nach Luft.
Mit ernster Miene beugte sie sich vor. »Ich will wissen, wie du es angestellt hast«, sagte sie mit beängstigender Ruhe.
»Du kannst doch nicht einfach so hier reinkommen«, rief ich.
»Behandle mich nicht wie einen Volltrottel«, fuhr sie mich an. »Ich weiß, wo du heut Abend warst.«
»Wovon redest du?«
»Ich rede davon, wie du mir meinen Freund geklaut hast. Wie du mir meinen ersten Rang geklaut hast. Wie du den Kuss des Untoten überlebt hast.«
»Ich hab dir gar nichts geklaut. Den ersten Rang hab ich mir verdient. Und Noah und ich sind nur befreundet.«
»Und was zum Teufel ist dann das?«, brüllte sie und hielt die Jacke hoch, die Noah mir in der Nacht nach der Jagd auf Miss LaBarge gegeben hatte. Ich hatte immer wieder vergessen, sie ihm zurückzugeben.
Sie durchbohrte mich mit ihrem Blick. »Ich hab dich im Unterricht beobachtet. Besonders helle bist du nicht und du verhältst dich auch nicht wie eine Unsterbliche. Du tust immer so verhuscht, so
ängstlich.
Aber wovor sollte man Angst haben, wenn man eh unsterblich ist? Es sei denn, du weißt genau, dass du bist wie alle anderen, und hast deshalb Schiss.«
»Was kümmert’s dich?«, fragte ich.
Sie würdigte mich keinerAntwort. Stattdessen schnappte sie sich einen Fotostapel von meiner Kommode. »Mit wem warst du neulich Nacht auf dem Friedhof? Das war ein Untoter bei dir. Ich hab ihn erspürt. Ich hab seine Stimme gehört.« Als ich nicht antwortete, verzerrte sich ihr Gesicht vor Wut. »Wer war er?«
»Es war keiner da außer mir.«
Sie bekam sich wieder in den Griff und zog eine Augenbraue hoch. »Ich wette, er würde sich gar nicht freuen, wenn er wüsste, dass du mit Noah zu seinen Eltern essen gehst. Und ich wette, er würde sich auch nicht freuen, wenn ich meinem Vater erzähle, dass du dich nachts mit einem Untoten rumtreibst.«
»Was willst du?«, fragte ich. »Was bringt’s dir, in meinenSachen rumzuschnüffeln? Mich zu bedrohen und mir Dinge anzuhängen, für die du null Beweise hast?«
»Ich will, dass du abhaust. Du sollst aus meinem Leben verschwinden.« Sie sah mir in die Augen und blickte dann auf die Fotos.
Das reicht, dachte ich. Ich stand auf und wollte sie ihr entreißen, aber sie hielt sie außerhalb meiner Reichweite.
»Ooh, sind das deine Eltern? Was ist noch mal mit denen passiert?«
Ich wollte sie anschreien, ihr die Spangen aus dem Haar rupfen, sie im Bad einsperren und dann Noah einladen und auf der anderen Seite der Tür mit ihm rummachen. Sie sollte wissen, wie es sich anfühlte, alle geliebten Menschen zu verlieren.
Ich hörte das Klatschen, bevor ich begriff, was ich getan hatte. Ich zog meinen Arm zurück und sah Clementine, die sich gegen die Wand drückte und sich die Wange hielt.
»Verlass mein Zimmer«, zischte ich und öffnete die Badezimmertür.
»Ich krieg raus, mit wem du nachts auf dem Friedhof warst, Renée.«
»Hau ab«, wiederholte ich.
»Ich werde ihn finden und ich werde ihn begraben.« Und damit war sie endlich verschwunden.
Zehntes Kapitel
Wanderlust
D anach ging ich Noah aus dem Weg. Zumindest versuchte ich das. Der November war zu einem farblosen Dezember versteinert, die Stadt grau und leblos. Spürte ich im Unterricht Noahs Blick auf mir, dann zwang ich meinen in die andere Richtung. Hastete er nach der Pausenglocke im Gang hinter mir her, ließ ich ihn abblitzen, indem ich ein Treffen mit einem Lehrer oder irgendein Gruppenprojekt vorschob. Ich wusste, dass
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