Dead Cat Bounce
kurzes Nicken übrig.
Jonah gab noch die letzten Transaktionen ein und dachte nicht weiter über die abweisende Haltung der Händler im Bunker nach – sie würden schon darüber wegkommen, dass er hier arbeitete, so wie beim letzten Mal. Und er verschwendete auch keinen Gedanken an die Kurse von Bankaktien, die infolge der Rettungsmaßnahmen gestiegen waren, und die Tatsache, dass Hellcat auf einem Verlust von vierundzwanzig Millionen Pfund saß. Stattdessen erinnerte er sich an den komplexen Deal, den der Baron und seine Händler das letzte Mal, als er hier gewesen war, durchgeführt hatten, an die Muster, die nur denen auffallen konnten, die in die Sache eingeweiht waren. Er war sicher, dass morgen alle Positionen wieder glattgestellt wurden. Jonah stand auf und ging zur Tür, während er in seiner Tasche nach Creedences Visitenkarte tastete, überzeugt davon, dass er gerade den ersten Tag seines neuen Lebens erlebt hatte.
Wenn er jetzt nicht noch seinem Dad über den Weg lief, war der Tag perfekt gewesen.
19
Dienstag, 9. September
Am nächsten Morgen wurde Jonah von seinem Radiowecker aus dem Schlaf gerissen. Er versuchte, sich auf die roten Zahlen zu konzentrieren, die der Wecker an die Decke warf. »4.45 Uhr« stand da. Warum denn so früh?, fragte sein Unterbewusstsein. Arbeit, erwiderte sein noch nicht ganz wacher Verstand. Hellcat! Die Leerverkäufe! Das Cockpit!
Na los! ,dachte er, während er aus dem Bett sprang und unter die Dusche ging. Er wohnte jetzt in der ehemaligen Wohnung des Hausmädchens, oben unter dem Dach, zusammen mit einem 56-Zoll-Flachbildfernseher, einer sehr hochwertigen Stereoanlage, einer Xbox, einer Playstation und zwei Elektrogitarren, gekauft von dem Geld, das er mit seinen Wertpapiergeschäften verdient hatte. An der Wand hingen zwei gerahmte Poster von frühen Konzerten der Rolling Stones in Richmond, die er bei einer Auktion ersteigert hatte, und an einen der Rahmen hatte er seine Goldmedaille von der Landesmeisterschaft im Crosslauf befestigt. Den Rest seiner Sportpokale und -medaillen hatte er in Erwartung baldiger Trophäen aus seiner Karriere als Börsenhändler aus dem Zimmer geräumt.
Unter der Dusche stellte er das Wasser etwas heißer ein als sonst, um das Brennen auf seiner Haut zu spüren, und drehte dann auf kalt. Als das Wasser seinen Kopf traf, schnappte er nach Luft. Anschließend putzte er sich die Zähne und zog sich so schnell an, dass es erst 5.15 Uhr war, als er leise die Haustür öffnete und unbemerkt aus dem Haus schlüpfte, erleichtert darüber, dass er seinem Vater nicht begegnet war. Jonah wusste natürlich, dass er und sein Dad irgendwann einmal länger als zehn Sekunden im selben Raum sein würden, aber da sie sich bei ihren letzten Begegnungen immer nur gestritten hatten, grauste ihm bei dem Gedanken daran.
Draußen war es dunkel und feucht. Ein leichter Nieselregen fiel. Bis zum Sonnenaufgang war es noch eine Stunde, doch Jonah fühlte sich hellwach. An der Hammersmith Bridge ging er nicht über den Fluss, sondern blieb stehen. Ein Taxi näherte sich, das gelbe Schild beleuchtet. Er hob den Arm und winkte es zu sich. Warum soll ich mich zusammen mit unzähligen anderen in die U-Bahn zwängen, wenn ich mir ein Taxi leisten kann, dachte er.
Als Jonah vor der Bank stand, war es noch keine sechs Uhr. Er ging durch die gläserne Drehtür, die nie abgeschlossen wurde, und nickte dem Sicherheitsbeamten von der Nachtschicht zu. Dann passierte er das Drehkreuz, fuhr mit der Rolltreppe nach oben zum Handelssaal und ging in den Bunker. Außer ihm war noch niemand da. Das Cockpit gehörte ihm. Er griff unter die Schreibtischplatte und drückte auf den Schalter, während er »und Zündung« murmelte. Triumphierend lehnte er sich zurück, als der Doppelschreibtisch vor ihm zum Leben erwachte.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass es im Saal zum ersten Mal so totenstill wie bei ihm zu Hause war. Der Gedanke daran war ihm so zuwider, dass er nach Möglichkeiten suchte, um der Stille zu entkommen.
Erstens: Clive. Clive war der Leiter der Abrechnungsstelle und bekam sämtliche Transaktionen der Händler auf den Schreibtisch. Gerüchten zufolge verließ er sein Büro so gut wie nie, daher ging Jonah davon aus, dass er trotz der frühen Stunde schon in seinem Büro war. Er hatte recht. Nachdem er in der Abrechnungsstelle angerufen hatte, kam Clive sofort in den Bunker und erklärte ihm, dass er derjenige sei, der die Korrekturen machte, wenn die Händler die
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