Dead Cat Bounce
falschen Beträge oder Kundenkonten eingaben. Er war das Sicherheitsnetz, er sorgte dafür, dass das Geld und die Transaktionen an den richtigen Stellen landeten. Wie gebannt hing Jonah an Clives Lippen, vor allem, weil dieser ein großer Fan des Barons war. Es tat gut, sich mit einem Gleichgesinnten unterhalten zu können, nachdem er sich am Morgen viel Mühe gegeben hatte, seinem Vater aus dem Weg zu gehen, der so wenig vom Baron hielt.
Zweitens: Die Jungs von der Technik, besser gesagt von der IT-Abteilung, wie die korrekte Bezeichnung lautete. Die IT-Abteilung war sehr groß und viele der Mitarbeiter dort arbeiteten noch spätabends oder schon frühmorgens. Zwei von ihnen kamen in den Bunker – ein Dicker, Lardy, und ein Dünner, Jez –, um Jonahs neuen Laptop einzurichten und ihm die technische Ausstattung seines Schreibtisches zu erklären. Keiner der beiden schien sonderlich begeistert von der Aufgabe zu sein.
Drittens: Die liegen gebliebenen Händlerzettel. Jonah suchte den Ordner mit den abgeschlossenen Transaktionen auf seinem Computer. Er sah ihn sich an, prägte sich die Zahlen ein und schloss ihn wieder. Dann griff er nach dem Stapel mit den offenen Händlerzetteln und begann, die hingekritzelten Notizen mit den Zahlen in seinem Gedächtnis zu vergleichen.
Seine Konzentration wurde lediglich durch ein unablässig klingelndes Telefon gestört. Er hob den Kopf und versuchte herauszufinden, zu welchem Telefon das Klingeln gehörte – inzwischen waren schon einige Händler zur Arbeit erschienen –, bis ihm klar wurde, dass es aus seinem Aktenkoffer kam. Es war sein neues Smartphone. Er hatte den Klingelton nicht erkannt. Jonah legte seine Daumen auf die Fingerabdruck-Sensoren des Koffers und öffnete ihn. Dann holte er das Handy heraus und sah auf das Display. »Der Baron«, stand darauf.
»iPod«, meldete sich Jonah, der sich fragte, warum der Baron nicht auf seiner Festnetzleitung angerufen hatte.
»Du meine Güte, das hat aber gedauert«, schallte es ihm entgegen.
»Ja, tut mir leid. Aber das war der erste Anruf auf dem neuen Handy«, erwiderte Jonah, der aus irgendeinem Grund nervös war. Er vermutete, dass es etwas mit dem plötzlichen Lärm nach der gähnenden Stille zu tun hatte.
»Wirklich?« Der Baron wartete die Antwort nicht ab. »Was gibt es Neues?«
Das muss ein Test sein, dachte Jonah. Als wüsste der Baron nicht, was passiert! Er warf einen schnellen Blick auf die Monitore. »Im Grunde genommen nicht viel seit gestern Abend. Die Tagesgeldsätze sind gestiegen. London und Europa ebenfalls mit Zuwächsen. Finanzwerte haben zugelegt. Die einzige Bank, die gestern Kursverluste erlitten hat, war Allegro Home Finance, minus vierzehn Prozent. Der Deal mit der International Development Bank platzt angeblich. Wisemen Thryce haben heute Morgen eine Studie veröffentlicht, nach der die Finanzkrise die Banken bei Weitem nicht so stark beeinflusst wie angenommen. Das hat der Finanzbranche noch mehr Auftrieb verschafft.«
»Ja, klar«, schnaubte der Baron. »Wisemen vertritt eigene Interessen. Sie sind auf der Käuferseite, aber da irren sie sich ganz gewaltig.« Er meinte damit, dass Wisemen und andere Aktien kauften, weil sie glaubten, die Bankwerte würden steigen. »Ich möchte, dass du heute Vormittag ein paar Transaktionen für mich durchführst, und zwar noch mehr Verkäufe. «
Einen Moment lang spürte Jonah, wie ihm die Angst in die Kehle stieg, wie vor einigen Jahren, als er sein erstes Börsengeschäft gemacht hatte. Im Jahr zuvor hatte er hart gearbeitet und sich sogar in den Sommerferien mit den Finanz- und Rechtsthemen beschäftigt, die der Baron für wichtig gehalten hatte. Doch mit echtem Geld hatte er nicht spekulieren dürfen, und der Baron hatte ihm nur erlaubt, ein paar virtuelle Transaktionen mit dem Trainingsprogramm durchzuführen. Was echte Investitionen anging, so durfte Jonah nur ein Musterdepot mit Wertpapieren führen. Was auch gut war, denn seine ersten fünf Transaktionen waren katastrophal gewesen. Hätte er damals echtes Geld investiert, wäre es innerhalb weniger Wochen weg gewesen.
Ein volles Jahr nachdem Jonah sein Training mit dem Baron begonnen hatte, wachte der Junge am ersten Tag des neuen Schuljahres um sieben Uhr morgens auf und ging schnurstracks zu seinem Computer, um seine E-Mails abzurufen. Er hatte eine neue Nachricht vom Baron: jetzt wird nicht mehr geübt. Das Trader-Konto ist aktiviert.
Jonahs Puls schlug schneller, seine Gedanken
Weitere Kostenlose Bücher