Dead - Ein Alex-Cross-Roman
hier.«
»Fehlt etwas?« Ich stellte die naheliegende Frage.
Bree schüttelte den Kopf. »Auf den ersten Blick nicht. Es sieht nicht so aus, als wäre sie ausgeraubt worden, Alex. Bei ihrem Sturz über das Geländer hat sie ein Diamantarmband und diamantene Ohrringe getragen. Vielleicht kann man irdische Besitztümer also doch mit hinübernehmen.«
Ich deutete auf die Streifen im Teppich. »Was lässt sich dazu sagen?«
»Der Gerichtsmediziner hat gesagt, dass die Knie des Opfers bereits vor dem Sturz blutig gewesen seien, und jetzt wird’s interessant: Als er sie vom Balkon geworfen hat, da trug sie eine Hundeleine um den Hals.«
»Im Radio war immer von einem Seil die Rede. Ich habe mir so was wie einen Galgenstrick vorgestellt, aber das kam mir auch nicht so richtig schlüssig vor. Eine Hundeleine? Das ist interessant. Sehr eigenwillig, aber interessant.«
Bree deutete auf einen Torbogen und das dahinter befindliche, vornehme Esszimmer mit zahlreichen Glasschränken voller Geschirr und Besteck. »Die Blutspuren fangen da hinten an und hören hier, mitten im Zimmer, wieder auf. Sie ist auf allen vieren gekrochen, und zwar, weil sie dazu gezwungen wurde.«
»Wie ein Hund. Also wollte er sie erniedrigen und das in aller Öffentlichkeit. Was kann sie ihm bloß getan haben? Womit hat sie so etwas verdient?«
»Ja, stimmt, es kommt einem wirklich so vor, als sei es etwas Persönliches. Vielleicht ein enttäuschter Geliebter oder jemand, der sich in seine Fantasievorstellungen hineingesteigert hat?« Langsam holte sie Luft und stieß den Atem wieder aus. »Weißt du, das wäre vermutlich ein Fall für dich, wenn du noch im Dienst wärst. Großes Aufsehen, großer Wahnsinnsfaktor.«
Ich sagte nichts, aber ich hatte bestimmt schon ein halbes Dutzend Mal genau dasselbe gedacht. Die merkwürdigen Fälle landeten meistens irgendwie bei mir. Dann war also Bree der neue Alex? Mit einem Mal fragte ich mich, ob unser Zusammentreffen bei dieser Party tatsächlich zufällig zustande gekommen war, wie es damals den Anschein gehabt hatte.
»Wohnt sonst noch jemand hier?«, wollte ich wissen.
»Ihr Mann ist vor zwei Jahren gestorben. Sie hat eine Haushälterin, aber die hatte heute Nachmittag frei.«
Ich lehnte mich ein Stück nach hinten. »Vielleicht wusste der Killer das?«
»Ich wette, dass er das wusste.«
Es war interessant, wie Bree und ich uns der neuen Situation anpassten. Das eigentlich Merkwürdige daran war, dass es sich überhaupt nicht merkwürdig anfühlte. Mir fielen immer wieder Kleinigkeiten auf. Ein besticktes Kissen, auf dem stand: Spieglein, Spieglein an der Wand, ich bin meine Mutter, das hab ich erkannt. Eine Hallmark-Grußkarte auf dem Kaminsims. Ich sah sie mir näher an. Sie war nicht unterschrieben. Hatte das etwas zu bedeuten? Wahrscheinlich nicht. Aber vielleicht doch. Man kann nie wissen.
Bree und ich betraten gemeinsam den Balkon.
»Er hat also die Gelegenheit, sie ohne Zeugen umzubringen, und trotzdem marschiert er hier raus und schmeißt sie vom Balkon«, sagte Bree mehr zu sich selbst als zu jemand
anderem. »Das ist wirklich dermaßen krank. Ich habe keine Ahnung, was ich damit anfangen soll.«
Ich betrachtete mir die Aussicht: ein paar weitere luxuriöse Wohnhäuser auf der anderen Straßenseite, den National Zoo ein kleines Stückchen weiter links, mehr Bäume, als man in den meisten Großstädten zu sehen bekam. Sehr hübsch, zugegeben - die funkelnden Lichter, die dunkelgrünen Flecken mit der dramatischen Beleuchtung.
Direkt unter uns lagen die u-förmige Auffahrt, ein Springbrunnen und ein breiter Gehweg. Plus Hunderte von Schaulustigen.
Dann kam mir ein Gedanke. Oder besser ausgedrückt: Ein Verdacht fühlte sich plötzlich so richtig an, dass ich ihn laut aussprechen konnte.
»Er hat sie nicht persönlich gekannt, Bree. Glaube ich nicht. Hier geht es um etwas anderes.«
Bree drehte sich um und schaute mich an. »Sprich weiter.«
»Er hat nicht sie persönlich umgebracht, wenn du verstehst, was ich meine. Was ich damit sagen will: Es war von Anfang an als öffentliche Hinrichtung geplant. Es ging ihm in erster Linie um das Publikum. Er wollte, dass ihm möglichst viele Leute dabei zusehen, wie er sie tötet. Das war eine Vorstellung. Der Killer ist hierhergekommen, um sich einen Auftritt zu gönnen. Irgendwann einmal hat er vielleicht sogar da unten gestanden und sich den für seine Tat am besten geeigneten Balkon ausgesucht.«
14
Plötzlich waren wir zu dritt. Mein
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